Großbaustelle(n) Bahn: Die Regierung duckt sich weg

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Das deutsche Schienennetz ist eine Dauerbaustelle. Gerade ist eine neue hinzugekommen, sogar die größte ihrer Art: Seit Freitag rollen die Baumaschinen entlang der Bahnstrecke Hamburg-Berlin und sorgen für eine neunmonatige Vollsperrung zwischen den beiden größten Städten Deutschlands. Das bedeutet nicht, dass gar keine Züge mehr zwischen den Metropolen fahren. Sie werden allerdings weiträumig umgeleitet oder durch Busse ersetzt. So oder so verlängert sich die Fahrzeit.

Da trifft es sich nicht gut, dass die Deutschen der Baustellen müde sind. Sollten sie sie jemals erquicklich gefunden haben, vielleicht zu Zeiten des Wirtschaftswunders, ist der Zauber längst verflogen. Jeder Schienenersatzverkehr, mag er auch noch so gut organisiert sein, ist kein notwendiges Übel, sondern eine Zumutung; jede baustellenbedingte Umleitung Ausweis von Fehlplanung. Das drohende Bahnchaos wurde schon bejammert, als sich noch kein Bagger in Bewegung gesetzt hatte.

Das mag der larmoyanten Grundstimmung im Land geschuldet sein – eine Investition des Bundes in Höhe von mindestens 2,2 Milliarden Euro könnte ja auch Anlass für Aufbruchstimmung sein. Aber der Unmut ist wenig verwunderlich, denn am Zustand der Deutschen Bahn lässt sich nichts schönzureden. Auch ohne das neue Großprojekt arbeitet sich der Staatskonzern jeden Tag an rund 1000 Baustellen ab, etliche davon ungeplant. Auf dem Weg zu pünktlicheren Verbindungen ist das hinderlich. Pünktlichkeitswerte von 63 Prozent im Fernverkehr sind jedenfalls nicht Ausweis einer erfolgreichen Strategie.

Die zahllosen Baustellen mögen notwendig sein, aber sie verschlimmern die Lage. Das liegt nicht nur an verständlichen Unwägbarkeiten, sondern auch an Fehlplanungen innerhalb des Konzerns. Der Bahnvorstand auf Abruf sucht gerade sein Heil in einem ambitionierten Sparprogramm. Doch immer tauchen neue Probleme auf, nicht nur bei der Infrastruktur, sondern selbst beim Einbau neuester Technik. Die ist zwar teuer, aber funktioniert nicht immer reibungslos.

Wie die Ampelregierung in der Endphase

Zur Wahrheit gehört aber auch: Der Zugverkehr ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der sich viele weg­ducken. Um nur einige Beispiele zu nennen: Auf der Schnellfahrstrecke Köln – Frankfurt herrschte in den vergangenen Wochen auch deshalb Chaos, weil nach der Erneuerung ei­nes Stellwerks die Technik von Siemens Mobility und Hitachi einen ähnlichen Zustand annahm wie die Ampelregierung in ihrer Endphase: Die Systeme kommunizierten nicht mehr miteinander.

Oder: Wann immer „Personen im Gleis“ auftauchen, wird eine absurde Regelungskaskade in Gang gesetzt, die zu stundenlangen Verspätungen führt. Man mag sich nicht ausdenken, was hierzulande los wäre, wenn jeder Autofahrer auf dem Seitenstreifen ei­ne stundenlange Vollsperrung der Au­tobahn nach sich zöge – bei der Bahn ist das Alltag, weil der Gesetzgeber die Regeln nicht anpasst. Und weil schon jetzt Störungen auf der Großbaustelle Hamburg – Berlin unausweichlich scheinen, sei vorsorglich darauf hin­gewiesen: Die Bahn arbeitet mit zwei Dutzend Baufirmen zusammen, die ihrerseits – wie bei Großprojekten üblich – etliche Subunternehmer beschäftigen. Der Schienenersatzverkehr wird von einer Unternehmensgruppe mittelständischer Busunter­nehmen organisiert.

Das Desinteresse hat Methode

Was tut derweil die Politik? Hält sich auf irritierende Art zurück. Während der als „Autominister“ kritisierte Bundesverkehrsminister Volker Wis­sing die Generalsanierung des Korridors Frankfurt-Mannheim engmaschig begleitete, geht sein Nachfolger Patrick Schnieder (CDU) auf Distanz. Verständlicherweise zollte er ebenso wie Bahnchef Richard Lutz am Freitag den Opfern des Zugunglücks vom vergangenen Wochenende seinen Respekt. An den Feierlichkeiten mit Fischbrötchen und Bouletten, die den Auftakt für eine solche milliardenschwere Investition üblicherweise ein­läuten, hatte er aber auch schon zuvor kein Interesse gezeigt. Stattdessen schickte er seinen Staatssekretär. Das irritiert nicht nur die Branche.

Die Abwesenheit des zuständigen Ministers kann man als Petitesse abtun, aber das Desinteresse hat Methode. Das führt zu grotesken Widersprüchen: Der Staat steckt so viel Geld in das Schienennetz wie nie zuvor, aber mehr als die Ankündigung, den Vorstand umzubauen und das Konzept der Generalsanierung regelmäßig zu überprüfen, gibt es seitens der neuen Regierung nicht. Dafür herrscht weiter Ebbe in der Kasse. In Deutschland leistet man sich den Luxus, eine zen­trale Neubaustrecke wie Frankfurt – Mannheim jahrzehntelang zu planen – ohne das Geld bereitzustellen, wenn es endlich so weit ist.

Wie der Bund eine sinnvolle Kon­trolle über das in seinen Augen unzulängliche Bahnmanagement ausüben will, ist schleierhaft. Mit vornehmer Zu­rückhaltung ist es jedenfalls nicht getan.