Bahnsanierung: Die riesige Kluft zwischen Bahn und Politik

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Strömender Regen und Sonnenschein: Wenn die Deutsche Bahn ein Großprojekt startet, zeigt sich der verkorkste deutsche Sommer in seiner ganzen Vielfalt. Am Freitag, pünktlich um 10 Uhr, zum feierlichen Start der Großsanierung Berlin–Hamburg, geht auf Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern ein Regenschauer nieder, der die rund 270 geladenen Gäste allerdings schon nicht mehr kümmert. Sie haben sich bereits in das weiße Festzelt begeben, um den üblichen Reden-Reigen zu verfolgen.

Nach dem Chef der Tochtergesellschaft DB Infra Go, Philipp Nagl, folgt der Verkehrsstaatssekretär Ulrich Lange, danach die Spitzenpolitiker der von der Großbaustelle betroffenen Bundesländer. Und ähnlich breit wie das meteorologische Repertoire sind auch die Versuche, die Deutsche Bahn angesichts der erwarteten Kosten von 2,2 Milliarden Euro und einer Bauzeit von neun Monate zu Baustellen- und Kostendisziplin anzuhalten: Mal wird streng ermahnt, mal freundlich, mal wird geschmeichelt, mal konstruktiv für Zusammenarbeit geworben. Zuckerbrot und Peitsche, Sonne und Regen. Richtig Aufbruchstimmung kommt da nicht auf, eher die Sorge vor dem drohenden Unheil.

Dabei ist diese Etappe der Generalsanierung, die an diesem Freitag startet und bis zum 30. April laufen soll, inklusive einer Vollsperrung der 278 Kilometer langen Strecke, schon die dritte in der Reihe der über 40 Korridorsanierungen. Dass mit der Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt im vergangenen Jahr die erste Etappe einigermaßen glimpflich lief, in weiten Teilen sogar als geglückt gelten kann, spielt an diesem Tag keine Rolle. Die nächste Etappe ist die härteste und längste, ein neuer Rekord auf dieser rekordträchtigen Strecke, die schon mehr als zwei Jahrhunderte die beiden größten Städte Deutschlands miteinander verbindet und die erste war, auf der die Kunden aus dem Zug heraus telefonieren konnten.

Demonstrative Einigkeit bei der Riedbahn

Der Kontrast zum Auftakt der Generalsanierung vor ziemlich genau einem Jahr könnte kaum größer ausfallen. Damals schwitzte das Publikum an einem der heißesten Tage des Jahres dicht gedrängt im weißen Festzelt, Politik und Staatskonzern beschworen ein neues Zeitalter. Der damalige Bundesverkehrsminister Volker Wissing stand wie selbstverständlich neben dem Bahnchef Richard Lutz, schon um Einigkeit bei der Bewältigung einer Mammutaufgabe zu demonstrieren. Beide fehlen an diesem Tag, der eine, weil er nicht mehr im Amt ist, der andere, weil er am Freitag an der Trauerfeier für den verunglückten Regionalzug vom vergangenen Sonntag teilnehmen muss, gemeinsam mit dem neuen Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder. Der CDU-Politiker geht erkennbar auf Distanz zum Staatskonzern, auch wenn es um eines der größten Bauprojekte des Bundes geht, an dem sich auch der Eigentümer, mithin der Bundesverkehrsminister, messen lassen muss. Oder genau deswegen.

Derweil ist sein CSU-Staatssekretär – „der Minister lässt schön grüßen“ – damit beschäftigt, mithilfe von Semantik ein neues Narrativ zu platzieren. Die von Wissing wortreich eingeführte und stets leidenschaftlich verteidigte „Generalsanierung“ heißt im Duktus der neuen Regierung nunmehr lediglich „Korridorsanierung“, weil zu einer Generalsanierung doch noch einiges fehle, insbesondere eine umfassende Digitalisierung, so redet Lange das geerbte Projekt nun klein.

Kommunikativer Kostensprung

Er spielt damit auf das neue Zugkon­trollsystem ETCS an, das die Bahn aus Kostengründen und auch der Praktikabilität erst später einbauen wird, wenn es nämlich das bisherige System vollständig ersetzen kann. Dazu müssten allerdings alle Züge erst umgerüstet werden, und dieses Unterfangen gestaltet sich komplizierter als gedacht. Geplagte Bahnkunden, die sich in den kommenden neun Monaten wahlweise mit Bussen oder einer Verspätung von 45 Minuten rumschlagen müssen, könnten dann allerdings irgendwann die Frage stellen, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnt, wenn es nur um eine „solide“ Sanierung geht, wie Lange es formuliert.

Während Lange das Bauprojekt also kleinredet, legt er bei den Ausgaben zur Überraschung vieler sogar noch einen drauf. Von Kosten in Höhe von maximal 2,5 Milliarden Euro spricht er nachdrücklich und wiederholt dies auch gleich noch mal, um sicherzugehen, dass es auch alle verstanden haben. Die Betonung hätte der CSU-Politiker wahrscheinlich gerne auf die 2,5 Milliarden Euro als Obergrenze gelegt, hängen geblieben ist allerdings, mit welcher Selbstverständlichkeit der veranschlagte Risikopuffer von 300 Millionen Euro schon gleich zu Baubeginn in die Kostenkalkulation eingegangen ist. Versehentlich verlängert er dann auch noch die Bauzeit um schlappe drei Monate, korrigiert sich dann aber sogleich, wobei wohl auch niemand vehement ausschließen möchte, dass er nicht doch recht behalten könnte. Der Zustand der Deutschen Bahn ist schlimm, ihr Ruf schlimmer.

Harte Zeiten für die Bahn – und ihre Kunden

Der Wind hat sich gedreht in den vergangenen Monaten. Damals wie heute waren die Zeiten hart, sowohl für die Deutsche Bahn als auch für die Kunden. Bei der Riedbahn-Sanierung steckte dem Konzern noch die verkorkste Fußball-Europameisterschaft in den Knochen, als sie Millionen ungeduldiger Fans transportieren musste, während sie noch mit den Auswirkungen eines verheerenden Hochwassers kämpfte. Der Start der nächsten Etappe der General-, pardon, Korridorsanierung wird überschattet von dem Zugunglück, das sich nach dem Starkregen am vergangenen Wochenende ereignete und drei Menschen in den Tod riss.

Aber jetzt sägt die neue Bundesregierung kräftig an den Stühlen des achtköpfigen Vorstands und schreibt den notwendigen Umbau auch noch in den Koalitionsvertrag. Die Tage von Bahnchef Lutz sind also gezählt, jetzt werden „die Korsettstangen eingezogen“, wie es Schnieder schon zu Beginn seiner Amtszeit gegenüber der F.A.Z. formulierte. Seither hat es schon das eine oder andere Mal gekracht.

Kritik hagelt es auch von den Wettbewerbern der Deutschen Bahn, insbesondere den privaten Güterbahnen, die das Zuckerbrot-Lob der Politik über die gelungene Informationspolitik der Bahn gegenüber den Kunden nicht bestätigen können. Peter Westenberger, Geschäftsführer des Verbands Die Güterbahnen, moniert, wie zurückhaltend die Netz-Tochtergesellschaft DB Infra Go mit der Kommunikation ihrer Baustellenplanung ist, die gerade der Güterverkehr so dringend braucht. Während sich die Politik vor allem um die Pendler und Ferienreisenden sorgt, hat es der Güterverkehr besonders schwer: Die Umleitungsorgien der nächsten Monate gipfeln im letzten Monat der General-Korridor-Sanierung in einer Schleife über das Ruhrgebiet. Das alles kostet Zeit und Nerven in einem ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Umfeld, in dem die Unternehmen Kosten sparen und um Aufträge ringen. „Es fehlt das Vertrauen“, sagt Westenberger.

Zwischendrin, und das ist die gute Nachricht, reißt der Himmel auf, und es wird für einen kurzen Moment wieder Sommer, in dem bekanntlich alles ein bisschen besser zu ertragen ist. Es werden Fischbrötchen und Bratwurst gereicht, jedenfalls für alle, die schnell genug sind, ebenso Pfannkuchen und Franzbrötchen. Vor zwei Jahrzehnten, das fällt bei der Gelegenheit auch wieder ein, waren Bahn-Termine noch Kanzlertermine. Nur wenige Kilometer weiter südlich, in Wittenberge, hatte SPD-Kanzler Gerhard Schröder den frisch sanierten Bahnhof und die Taufe eines ICE gefeiert. Kostenpunkt: 76 Millionen Euro. Aufgeheizte Stimmung gab es auch da. 600 Demonstranten waren gekommen, um gegen die Arbeitsmarktreform Hartz IV zu protestieren.