SPD-Politiker haben vor einer Tabuisierung von Steuererhöhungen gewarnt und die Einführung neuer Steuern, insbesondere einer Digitalsteuer, sowie eine Erhöhung der Einkommensteuer gefordert. „Die Steuerquote in Deutschland, also der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt, liegt aktuell einen Prozentpunkt unter dem Wert von vor der Pandemie“, sagte Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) dem „Tagesspiegel“. Und er fügte hinzu: „Orientiert man sich daran, besteht volkswirtschaftlich ein begrenzter Spielraum für Steuererhöhungen. Diese müssen natürlich sozial gerecht sein.“
Er plädiere dafür, „in einem ersten Schritt eine Digitalsteuer einzuführen, wie andere europäische Länder sie schon längst haben – beispielsweise Frankreich, Spanien, Italien und Österreich“, erklärte Bovenschulte. „Dann hätte man auch gleich einen gewissen Ausgleich für den schlechten Zoll-Deal mit den USA“.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner sagte: „Wir dürfen Steuererhöhungen nicht tabuisieren.“ Deutschland gebe „so viel für Rüstung aus wie nie, und wir senken einige Steuern“. Wenn die Union nun Sozialkürzungen will und gleichzeitig Einnahmeverbesserungen ausschließt, dann gerate „die Statik der Koalition und des Landes ins Wanken“.
Bas kritisiert Reiche
Mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Union habe die SPD ab 2007 die Reichensteuer für Spitzenverdiener erhöht, erinnerte Stegner: „Das kann ein Modell sein. Wer als Single 250.000 Euro verdient oder als Paar 500.000 Euro im Jahr, kann mehr als 45 Prozent Steuern zahlen. Höhere Steuern für absolute Spitzenverdiener haben keine soziale Schlagseite. Unter Helmut Kohl lag die Spitzensteuer bei bis zu 56 Prozent“, fügte er hinzu.
SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf bezweifelt unterdessen, dass durch Kürzungen beim Bürgergeld der Staatshaushalt spürbar entlastet werden kann. „Wir werden gemeinsam sehr schnell feststellen: Anders als es die Union im Wahlkampf versprochen hat, lässt sich der Staat nicht durch Kürzungen im Bürgergeld sanieren“, sagte er dem Nachrichtenportal „web.de news“. Stattdessen müsse es darum gehen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen, so Klüssendorf.
Rechnungshof warnt vor wachsenden Sozialausgaben
Auch ein höheres Renteneintrittsalter, wie von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) gefordert, lehnt Klüssendorf ab: „Viele Menschen erreichen das gesetzliche Renteneintrittsalter schon heute nicht – für sie wäre das nichts anderes als eine Rentenkürzung. Das muss so deutlich gesagt werden.“ Die Aktivrente sei der bessere Weg, da sie auf Freiwilligkeit zum längeren Arbeiten setze – und nicht auf Zwang.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann grenzte sich ebenfalls von Reiche ab. „Wer in seinem Berufsleben hart körperlich gearbeitet hat und sich mit Anfang 60 darauf einstellt, bald in Rente zu gehen, weil ein solcher Job nicht bis ins hohe Alter durchzuhalten ist, sollte das tun können“, sagte er der „Welt am Sonntag“.
Der seit Jahren steigende Sozialetat des Bundes wird nach Erwartung des Bundesrechnungshofs bis 2029 noch einmal um rund 29 Milliarden Euro im Jahr wachsen. Die Kontrollbehörde fordert deshalb eine bessere Umsetzung bereits gestarteter und angedachter Reformen, darunter die schnellere Vermittlung von Menschen aus dem Bürgergeld in Arbeit. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hatte im Bundestagswahlkampf im Dezember gesagt, er wolle das „Bürgergeld vom Kopf auf die Füße stellen, da werden sich zweistellige Milliardenbeträge einsparen lassen.“
Kritik vom Wirtschaftsweisen Werding
Mit Blick auf den Start der Fachkommissionen zum Umbau von Pflege, Rente und Gesundheit lehnt wiederum Klüssendorf Kürzungen im Sozialstaat ab. „Klar ist für uns: Der Sozialstaat ist die Grundlage unserer sozialen Marktwirtschaft – und die Garantie für Teilhabe in dieser Gesellschaft.“
Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas hält auch Steuererhöhungen zur langfristigen Finanzierung von Rente, Kranken- und Pflegeversicherung für vorstellbar. Um steigende Beiträge für die Arbeitnehmer zu verhindern, seien Reformen und höhere staatliche Zuschüsse notwendig, sagte die SPD-Chefin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die Koalition hat für diese Wahlperiode Steuererhöhungen ausgeschlossen. Es ist fraglich, ob das dauerhaft funktionieren kann.“
Unterstützung erhält Wirtschaftsministerin Reiche ihrerseits vom Wirtschaftsweisen Martin Werding. „Auch wenn es unpopulär ist – wir müssen länger arbeiten“, sagte der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum der Oldenburger „Nordwest-Zeitung“.
Werding forderte, bei der Rente mit 67 dürfe nicht Schluss sein. Alle zehn Jahre müsse die Regelaltersgrenze um sechs Monate steigen. „Ab 2050 gäbe es dann die Rente mit 68 Jahren, ab 2070 mit 69 Jahren.“ Anders sei die Bevölkerungsentwicklung mit immer mehr immer älteren Menschen nicht aufzufangen.
Die Abschläge, mit denen Beschäftigte auch früher in den Ruhestand gehen könnten, müssten von jetzt 3,6 auf fünf bis sieben Prozent steigen, sagte Werding, der seit dem Jahr 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft ist. Den Einwand, schwer körperlich arbeitende Menschen wie Dachdecker könnten nicht so lange arbeiten, ließ er nicht gelten. Das Rentensystem könne sich nicht an speziellen Berufsgruppen ausrichten. „Viele Dachdecker suchen sich andere Jobs, bevor sie 60 werden, das wurde längst untersucht.“ Wer nicht mehr arbeiten könne, erhalte eine Erwerbsminderungsrente. Diese sei spürbar verbessert worden.
Das früher bei 65 Jahren liegende Renteneintrittsalter wird seit 2012 schrittweise angehoben und wird 2031 bei 67 Jahren liegen. Diese Altersgrenze gilt für alle, die 1964 oder später geboren wurden. Ein vorgezogener Rentenstart ist möglich, wenn Abschläge hingenommen werden; zudem gibt es Ausnahmen etwa für besonders langjährig Versicherte und für Schwerbehinderte.
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: „Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente.“