Der russische Diktator Joseph Stalin war höchst unzufrieden mit dem Ausgang der Volkszählung von 1937. Er hatte fest damit gerechnet, dass die Bevölkerung unter seiner Herrschaft kräftig gewachsen war und er damit das Bild einer glücklichen, blühenden Nation präsentieren kann. Tatsächlich aber war das Volk kaum größer geworden und zudem noch deutlich religiöser, als Jahrzehnte der Umerziehung hatten erwarten lassen. Die sowjetische Führung entschied, die Daten zu unterdrücken und die führenden Statistiker hinzurichten.
Im Vergleich dazu ist die jüngste Intervention des amerikanischen Präsidenten Donald Trump harmlos. Er hatte nach der Veröffentlichung von für ihn unangenehmen US-Arbeitsmarktzahlen am Freitag die Chefin der zuständigen Statistikbehörde, Erika McEntarfer, gefeuert und ihr vorgeworfen, die Zahlen manipuliert zu haben, um ihn schlecht aussehen zu lassen. Der Arbeitsmarktbericht hatte nach Revision der Zahlen von Juni und Mai offenbart, dass in den letzten drei Monaten kaum neue Stellen geschaffen worden waren und die Industriearbeit sogar geschrumpft war. Am Wochenende verteidigte Trumps Wirtschaftsberater Kevin Hassett die Entlassung und sagte, Trump wolle seine eigenen Leute in der Statistikbehörde haben, denen er trauen könne.
Während bekannte Ökonomen von links und rechts in den USA davor warnen, dass der Präsident damit die Glaubwürdigkeit der Regierungszahlen unterminiere, dürfte die amerikanische Bevölkerung mehr Sympathie haben. Sie misstraut amtlichen Zahlen stärker als in früheren Jahren. Speziell offizielle Angaben zur Inflation und zu Covid-Erkrankungen etwa stießen auf Unglauben. Große Datenrevisionen vergrößern dabei das Misstrauen noch. Dabei sind sie die Folge davon, dass im Fall der US-Arbeitsmarktstatistik die Unternehmen weniger zuverlässig und weniger zeitnah auf die Umfrage antworten. Rückläufige Antwortraten sind ein Problem, mit dem alle Statistikämter weltweit zu kämpfen haben.
Auch in Europa werden Zahlen beschönigt
Ob Trump die offenbar geplante Neuausrichtung des Büros für Arbeitsstatistik dafür nutzt, die Zahlen zu schönen, ist völlig unklar. Datenmanipulationen werden gewöhnlich autoritären Ländern unterstellt – mit guten Gründen. Autokratien übertreiben ihr jährliches Wirtschaftswachstum um rund 35 Prozent, hat der Ökonom Luis R. Martinez von der Emory-Universität herausgefunden. Er konnte zu dem Ergebnis kommen, weil Satellitenbilder über die nächtliche Beleuchtung eine robuste Annäherungsgröße für die Wirtschaftskraft einer Region sind. Ein Beispiel liefert China, das laut Brad Setser vom Council of Foreign Relation seinen Handelsbilanzüberschuss kleiner ausfallen lässt, als er wirklich ist, womöglich um die Bedrohung der gewaltigen chinesischen Industriekapazitäten milder scheinen zu lassen.
Doch auch demokratische Regierungen greifen ein, selbst in Europa. Das Paradebeispiel liefert Griechenland. Dort war der von 2010 bis 2015 amtierende Chef des griechischen Statistikamts Elstat, Andreas Georgiou, nach seinem Ausscheiden sogar jahrelanger strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt. Georgiou, der vor seiner Zeit an der Elstat-Spitze stellvertretender Chefstatistiker des Internationalen Währungsfonds (IWF) gewesen war, wurde von der griechischen Generalstaatsanwaltschaft vorgeworfen, er habe das Staatsdefizit für das Jahr 2009 – dem Jahr des Ausbruchs der griechischen Staatsschuldenkrise – zu hoch ausgewiesen und diese Krise dadurch mitausgelöst.
Der oberste griechische Gerichtshof schloss sich dieser Auffassung im Jahr 2019 an und verurteilte ihn „wegen Verletzung seiner Amtspflichten“ zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Ein Zivilgericht verurteilte den Statistiker ferner zu einer Geldbuße wegen „übler Nachrede“. Das Urteil bezog sich auf den Befund Georgious, dass das Statistikamt vor seiner Amtszeit das Staatsdefizit falsch ausgewiesen habe. Georgiou klagte gegen die Urteile, und erst als die griechische Regierung im Jahr 2023 ihren Einspruch gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Georgious Gunsten zurücknahm, beruhigte sich der Rechtsstreit.
Griechenland musste Staatsdefizit zweimal korrigieren
Die Leiter von Statistikämtern in aller Welt hatten den Prozess gegen Georgiou immer wieder als politisches Verfahren bezeichnet und seinen Freispruch gefordert. Bemerkenswert ist, dass der Statistiker sowohl von der seit Anfang 2015 amtierenden linken Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras als auch von der seit 2019 regierenden konservativen Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis angegriffen wurde. Letztere wehrte sich gegen den längst nicht mehr bestreitbaren Vorwurf, dass die konservative Regierung unter Kostas Karamanlis von 2004 bis 2009 das griechische Defizit manipuliert hatte. Dies hatte sich schon abgezeichnet, als die neue sozialdemokratische Regierung unter Georgios Papandreou das Staatsdefizit für 2009 von 3,7 auf 13,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) revidierte. Das Amt Elstat unter Georgiou revidierte es 2010 noch einmal auf 15,4 Prozent. Die Strafverfolgung durch Richter, die Syriza eingesetzt hatte, gründete vor allem auf der Suche nach Sündenböcken für die schlechte Wirtschaftslage in Griechenland.
Eklatant ist auch der Fall Türkei, dessen Regierung Zweifel an amtlich verlautbarten Daten speziell zur Inflation Nahrung gibt. Anfang 2022 hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan den Leiter des Nationalen Statistikamtes Turkstat ohne jede Begründung entlassen. Die von Sait Erdal Dinçer zuvor veröffentlichte Inflationsrate von knapp 20 Prozent für 2021 hatte die Regierung verärgert. Für einen politischen Hintergrund sprach zudem, dass Erdogan seit Juli 2019 bereits drei Zentralbankgouverneure entlassen hatte, weil sie die von ihm gewollte Niedrigzinspolitik nicht verfolgten.
Dinçers Nachfolger in der Statistikbehörde, Erhan Çetinkay, musste zwar bis heute eine weit höhere Inflation melden. Doch blieb sie seither unter jener, die die Industrie- und Handelskammer Istanbul monatlich für die größte Stadt und das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes erhebt. Türkeikenner wie Commerzbank-Analyst Tatha Ghose weisen auf diese auffällige Differenz immer wieder hin. Sie besteht bis heute. Laut am Montag verbreiteten amtlichen Daten betrug die Inflation in der Türkei im Juli 33,5 Prozent, die Kammer bezifferte sie für Istanbul auf 42,5 Prozent. Die Ökonomenvereinigung ENAG veranschlagte die Inflation sogar regelmäßig auf das Doppelte der amtlichen.
Welche Folgen die Umbesetzung im amerikanischen Bureau of Labor Statistics haben wird, bleibt abzuwarten. Trump hat angekündigt, noch in dieser Woche einen neuen Behördenchef zu benennen.