Rheinland-Pfalz: 53 Gemeinden ohne Bürgermeister

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Keiner in der Gemeinde Rüber wollte Bürgermeister werden. Auf den Stimmzetteln für die Kommunalwahl im Juni vorigen Jahres standen nur die Namen derjenigen, die sich für den Gemeinderat aufstellen ließen. Wie in dem Dorf im Landkreis Mayen-Koblenz lief es vielerorts in Rheinland-Pfalz ab. In 523 Gemeinden fand sich kein Bürgermeisterkandidat, das ist ein Viertel aller Kommunen im Bundesland. Rüber blieb erst mal ohne Bürgermeister.

Erst nach ei­nem halben Jahr und vielen Gesprächen fand sich jemand, der das Amt übernahm. Sein Name ist Oliver Stenz. Der Berufssoldat arbeitet in Koblenz bei der Bundeswehr, ist auch bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv und war bereits ehrenamtlicher Beigeordneter in der Gemeinde. Vor der Wahl hatte sich der zweifache Vater schon Gedanken gemacht, ob er kandidieren will, und mit seiner Frau darüber gesprochen. Er entschied sich dagegen, weil er neben seinen anderen Ehrenämtern Zeit mit der Familie verbringen wollte. Warum er sich doch umstim­men ließ? „Ich wohne schon so lange in Rüber und will etwas für meine Heimat tun.“

Landesweit fehlen in Rheinland-Pfalz fast 14 Monate nach der Wahl noch 53 Bürgermeister. Das erfuhr die F.A.Z. auf Anfrage vom Innenministerium in Rheinland-Pfalz. Woran liegt es, dass das Amt so unbeliebt ist? Rheinland-Pfalz ist so kleinteilig organisiert wie kein anderes Bundesland. Es gibt 2305 Städte und Gemeinden. 2259 von ihnen sind Ortsgemeinden; manche haben 20 Einwohner, manche 900 oder 9000. Bürgermeister ist man dort immer im Ehrenamt. Zwischen den Dörfern und den Kreisen dient als Verwaltungsebene die Verbandsgemeinde: Dort werden der Haushalt vorbereitet und die Verwaltungsarbeit geleistet.

Der gewählte, hauptamtliche Bürgermeister der Verbandsgemeinde Gerolstein in der Eifel ist Hans Peter Böffgen. Er ist verantwortlich für 38 Gemeinden und merkt, dass es immer schwieriger wird, Freiwillige zu finden, die die Aufgaben übernehmen. „Die Arbeit ist schwieriger und zeitaufwendiger geworden, gleichzeitig gibt es eine sinkende Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen“, sagt er. In der Verbandsgemeinde versuchten die Kommunalpolitiker, Flüchtlinge dezentral unterzubringen. „Die Bür­germeister haben viel Vermittlungsarbeit geleistet, Konflikte geschlichtet und bei der Integration unterstützt.“ Deshalb laufe es insgesamt gut.

Der Alltag: Dorfgemeinschaftshäuser, Glasfaser und Beschwerden

Aber die Arbeit brauche viel Zeit und schrecke manchen ab. Hinzu kommt etwa, dass die Bürgermeister formal zuständig sind, die Vermietung von Dorfgemeinschaftshäusern oder Grillhütten zu organisieren. Der Bürgermeister ist Ansprechpartner, wenn die Glasfaser im Ort verlegt wird oder die Bäume im Ort kon­trolliert werden. „Gleichzeitig ist die Erwartungshaltung vieler Bürger gestiegen: Wenn die eine E-Mail mit einer Beschwerde schreiben, wollen sie am nächsten Tag eine Antwort haben“, sagt Böffgen. Neben einem Vollzeitjob sei das kaum zu leisten. Deshalb war Böffgen beinahe überrascht, dass sich in den allermeisten Gemeinden ein Bürgermeister fand.

Oliver Stenz, der neue Ortsbürgermeister von Rüber, hat einen vollen Termin­kalender. Er fängt früh an zu arbeiten, um gegen 15 Uhr in der Verwaltung der Verbandsgemeinde zu sein; die Verwaltung ist schließlich nur tagsüber besetzt. Hinzu kommen Feste und Geburtstage, die Organisation von Kirmes und von Aufräumtagen. Stenz sagt, er könne es eigentlich nur schaffen, weil ihn eine Beigeordnete unterstützt, die in Rente ist und viele Termine übernimmt. Das hört man aus vielen Gemeinden: Die Last wird auf meh­rere Schultern verteilt. Formal ist das laut der Gemeindeordnung nur bedingt zu­lässig, denn die Verantwortung hat am Ende immer der ehrenamtliche Bürgermeister.

Normale Fluktuation oder gefährlicher Trend?

Nicht selten sind die Ortsbürgermeister auch für den Betrieb der Kindertagesstätten verantwortlich. Immer wieder wurde das als zu große Last für die Ehrenamt­lichen kritisiert, auch wegen der damit einhergehenden Haftung. In Rüber will die zuständige Verbandsgemeinde Maifeld die Verwaltung der Kindertagesstätte übernehmen. Ihr Bürgermeister Maximilian Mumm schildert, dass er das bereits in mehreren anderen Orten so geregelt hat. „Sonst tut sich das keiner mehr an“, sagt er über die Pflichten der Ortsbürgermeister. Der formale Gestaltungsspielraum der Ortsgemeinden und ihrer Bürgermeister ist groß. Sie können in den Räten, in denen Parteizugehörigkeit meist keine Rolle spielt, alles beschließen. Aber oft fehlen die Mittel für die Änderung der Bauplanänderung oder die Erstellung ei­nes Gutachtens. Die Größe der Kommunen macht sie zum Teil handlungsun­fähig, was nicht selten in Enttäuschung mündet. In vielen Fällen setzt es ehrenamtliches Engagement frei: Dorfgemeinschaftshäuser oder Grillplätze werden in Eigenleistung erneuert.

Ist es also ein Problem, dass landesweit 53 Gemeinden keinen Bürgermeister haben? Böffgen und Mumm sagen, dass in den Gemeinden ein Ansprechpartner und Kümmerer fehle. Durch eine Reform könnte man kleinere Gemeinden zusammenlegen, hauptamtliche Stellen schaffen. Das halten sie für sinnvoll. Politisch ist es unrealistisch. Die regierende SPD und die oppositionelle CDU lehnen eine kommunale Verwaltungsreform ab. Das Innenministerium sieht die 53 fehlenden Bürgermeister als normale Fluktuation und nicht als gefährlichen Trend an. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Pia Schellhammer, findet es bedauerlich, dass so viele Bürgermeister fehlen. „Jedes unbesetzte Amt ist eines zu viel“, sagte sie der F.A.Z. Die Arbeit bleibe unerledigt, was Nachteile für die Kommunen und die Menschen, die dort leben, bedeute. Der demographische Wandel wird, so argumentiert Schellhammer, die Entwicklung noch verstärken. Eine Reform hält sie für unumgänglich.