Thyssenkrupp: TKMS segelt eigenständig | FAZ

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Für die Marinesparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp (TKMS) wird es jetzt ernst. In einer außerordentlichen virtuellen Hauptversammlung haben die Thyssenkrupp-Aktionäre am Freitag mit 99,96 Prozent Zustimmung entschieden, dass Deutschlands größter U-Boot- und Kriegsschiffsbauer künftig selbständig aufgestellt sein soll. TKMS mit seinen mehr als 8000 Mitarbeitern wird in Zukunft von einer neuen Dachgesellschaft gehalten; an dieser behält der Mutterkonzern mit 51 Prozent der Anteile die Mehrheit. Die restlichen 49 Prozent sollen den Aktionären proportional zu ihrem Thyssenkrupp-Anteil direkt in die Depots gebucht und zukünftig an der Frankfurter Börse notiert werden.

Thyssenkrupp geht davon aus, dass dieser Börsengang Mitte Oktober diesen Jahres stattfinden wird, wie der Vorstandsvorsitzende Miguel López am Freitag auf dem Aktionärstreffen sagte. Er nannte die TKMS-Abspaltung „richtungsweisend“. Die Thyssenkrupp-Aktie reagierte schon im Verlauf der Hauptversammlung positiv und lag am Nachmittag mit mehr als drei Prozent im Plus.

Mit dem so genannten „Spin-off“ wird auch die mächtige Essener Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung entsprechend ihres Anteils von rund 21 Prozent an Thyssenkrupp erstmals neben Thyssenkrupp-Aktien einen weiteren Titel im Depot haben und dann etwas mehr als zehn Prozent der TKMS-Aktien halten. Volkmar Dinstuhl, Vorstandsmitglied von Thyssenkrupp, sagte auf der Hauptversammlung, die Stiftung werde als Ankeraktionärin ein Aufsichtsratsmitglied der neuen TKMS stellen dürfen, auch wenn sie kein formelles Entsenderecht erhalte. Die Stiftung selbst teilte im Anschluss an die Hauptversammlung mit, durch die Verselbständigung von TKMS entstünden „neue Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten“ für das Unternehmen und seine Beschäftigten. Die Stiftung habe „die notwendigen Veränderungsprozesse des Unternehmens stets mitgetragen“ und tue „dies auch in der aktuellen Phase der Transformation“. Die Diversifizierung des Stiftungsvermögens ermögliche eine breitere Basis für die Förderaktivitäten in Wissenschaft, Bildung, Erziehung, Gesundheit, Kunst und Kultur. Zugleich werde „die besondere Unternehmensverbundenheit der Stiftung“ mit Thyssenkrupp „durch die künftige zweifache Anteilseignerschaft fortgesetzt“.

„Schritt in eine neue Zeit“

Vorstandschef López sprach vor den Aktionären am Freitag von einem „Schritt in eine neue Zeit“. Damit gemeint sein dürfte, dass die Verselbständigung des derzeit florierenden Marinebereichs als Blaupause für ähnliche Schritte aller weiteren Sparten des wirtschaftlich strauchelnden Konzerns dienen soll. In Zukunft – so schwebt es der Thyssenkrupp-Führung vor – soll aus dem unübersichtlichen Konglomerat, das der Industriekonzern heute ist, eine schlanke Finanzholding werden, mit auch den anderen derzeitigen Sparten als eigenständigen, kapitalmarktfähigen Gesellschaften darunter.

Während der Hauptversammlung äußerten sich die meisten Aktionärsvertreter im Grundsatz positiv zu der TKMS-Ausgründung. „Das ist die Lösung für den Thyssenkrupp-Konzern“, sagte etwa Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Wir stimmen der Abspaltung von TKMS klar zu.“ Die DSW befürworte sie nicht nur, sie fordere sie sogar. Er nannte Siemens und Bayer als Vorbilder, die in der Vergangenheit erfolgreich Sparten ausgegliedert und so ihre jeweiligen Konglomerate fokussierter aufgestellt hätten.

“Schattenkapitän“ auf der Brücke

Auch Hendrik Schmidt, Vertreter der Fondsgesellschaft DWS lobte den Schritt im Grundsatz. Die Abspaltung der Marinesparte unterstreiche die „Fokussierung des Portfolios der Konzernmutter“, zugleich verfüge TKMS über ein gefülltes Auftragsbuch und stabiles Cash-Flow-Profil. Konzernangaben zufolge stehen im Orderbuch von TKMS Aufträge im Wert von rund 18 Milliarden Euro. „Es sieht also eher nach Volldampf voraus als nach Schleichfahrt aus“, sagte Schmidt. Zugleich äußerte er jedoch Zweifel an dem gewählten Verselbständigungskonstrukt, in dem der Mutterkonzern die Mehrheit an dem neuen Unternehmen behält: „TKMS soll in See stechen – eigenständig, börsennotiert, mit klarem Kurs. Doch die derzeitige Governance-Struktur wirkt, als sei das Schiff zwar vom Dock gelöst, aber noch mit dicken Trossen an die Konzernpier vertäut“, sagte er. Thyssenkrupp bleibe „als Schattenkapitän auf der Brücke“.

Florian Honselmann, Sprecher der Schutzgemeinschaft für Kapitalanleger ging noch einen Schritt weiter und sagte, er verweigere der Abspaltung von TKMS die Zustimmung. Die gewählte Rechtsform einer Kommanditgesellschaft auf Aktien für die neue TKMS sei eine „maximal aktionärsunfreundliche Struktur“, führte er an. Ein entscheidendes Problem sei zudem: „Ich kann so viele gesunde Unternehmensteile ausgründen wie ich möchte, damit schaffe ich nicht die Probleme im defizitären Kerngeschäft weg.“

IG Metall trommelt für Staatseinstieg

Anlässlich der Hauptversammlung trommelte die Gewerkschaft IG Metall abermals für ihre Position, der Staat müsse mit mindestens 25,1 Prozent bei TKMS einsteigen. „Unserer Forderung, dass sich der Bund als Ankerinvestor vor dem Börsengang an TKMS beteiligt, ist die aktuelle Bundesregierung bislang leider nicht nachgekommen“, sagte Stephanie Schmoliner, Geschäftsführerin der IG Metall Kiel-Neumünster. Die Gewerkschaft halte einen Staatseinstieg „nach wie vor für unerlässlich“. Es sei die Aufgabe einer Bundesregierung, „bei besonders schützenswerten Schlüsseltechnologien wie dem Marineschiffbau auch auf die Aktionärsstruktur von TKMS zu achten“. Die IG Metall befürchte, dass nach dem Börsengang ein Aktienpaket des Marineunternehmens in „falsche Hände“ geraten könnte.

Auf der Hauptversammlung legte López dar, derlei Gefahren sei dadurch vorgebeugt, dass sich Thyssenkrupp und der Bund auf wesentliche Eckpunkte einer so genannten Sicherheitsvereinbarung geeinigt haben. Darin soll etwa stehen, dass der Bund künftig zustimmen muss, wenn Thyssenkrupp eine Beteiligung von 25 Prozent oder mehr an den sicherheitsrelevanten Rüstungsgeschäften verkauft. Schon ab einer Verkaufsabsicht von fünf Prozent solle der Bund ein Vorkaufsrecht bekommen. Unternehmen und Regierung haben sich zudem auf Standortgarantien für TKMS geeinigt. „Wesentliche Forschungs-, Entwicklungs- und Fertigungskapazitäten“ der Marinesparte sollen hierzulande erhalten bleiben, wie sich auch in den Unterlagen zur Hauptversammlung nachlesen lässt.

Der Sitz der neuen Gesellschaft soll für „mindestens zehn Jahre“ in Deutschland bleiben. „Diese Frist verlängert sich, soweit der Bund durch verbindliche Aufträge eine angemessene Auslastung der entsprechenden Kapazitäten sicherstellt.“ Ganz grundsätzlich soll der Bund Informationsrechte erhalten, falls Thyssenkrupp „wesentliche Maßnahmen“ vornimmt, die Aktivitäten oder Gesellschaften betreffen, die für die nationale Sicherheit relevant sind. Der Bund soll zudem eines der zehn Aufsichtsratsmitglieder von TKMS vorschlagen dürfen. Schmoliner wiederholte die Position der Gewerkschaft, all dies sei ein „Schritt in die richtige Richtung“, doch insbesondere mit Blick auf die Mitbestimmung habe man mehr erwartet.