Das Infrastrukturprojekt Stuttgart 21 wird immer mehr zu einem Milliardengrab – für die Deutsche Bahn. Wegen Fehlplanungen, Bauverzögerungen und damit verbundene Preissteigerungen belaufen sich die Kosten inzwischen auf mindestens elf Milliarden Euro. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat am Dienstag klargestellt, dass der Staatskonzern die Mehrkosten in Höhe von 7,2 Milliarden Euro alleine tragen muss.
Die ebenfalls in der Planung involvierten Projektpartner, konkret das Land Baden-Württemberg, die Landeshauptstadt Stuttgart, der Regionalverband Region Stuttgart und der Flughafen, müssen diese nicht zahlen.
Damit bestätigten die Richter ein Urteil des Verwaltungsgerichts aus dem vergangenen Jahr. Grundlage für die Entscheidung war ein Finanzierungsvertrag aus dem Jahr 2009, der die Zuschüsse der Projektpartner auf 4,5 Milliarden Euro begrenzte. Für den Fall weiterer Mehrkosten war in einer sogenannten Sprechklausel lediglich die Aufnahme von Gesprächen vereinbart worden, nicht aber eine Anpassung des Vertrages.
In den Augen der Bahn hätte das Verwaltungsgericht dabei stärker berücksichtigen sollen, dass es zu einem dauerhaften Projektstillstand oder gar zu einem „ungeordneten Projektabbruch mit untragbaren Konsequenzen“ hätte kommen können, wenn sich das Land nicht an der Finanzierung der weiteren Mehrkosten beteiligt.
Abbruch stand im Raum
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Dimensionen dieses umstrittenen Mammutprojekts, das schon 1995 aus der Taufe gehoben wurde und nach der derzeitigen Planung erst im Frühjahr 2027 ganz abgeschlossen sein wird. Die Bahn hat die Bauarbeiten 2010 auch auf Drängen der damals CDU-geführten Landes- und Bundesregierung gestartet.
Das Projekt Stuttgart 21 steht nicht nur für den Bau des neuen modernen Hauptbahnhofs, sondern für die komplette Neuordnung des überlasteten Bahnknotens Stuttgart. Sogar der Abbruch des Projektes hatte im Raum gestanden, er kam auch vor dem Berufungsgericht zur Sprache.
Gericht: Keine ernstlichen Zweifel an Richtigkeit des Urteils
Die Richter des Verwaltungsgerichtshofs kamen in ihrer Entscheidung jedoch zum Schluss, dass es keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils gebe. Die Bahn hätte die Verwirklichung des Projektes S 21 nach Ausschöpfung des Finanzrahmens abbrechen können, argumentierten die Richter. Das sei ihr rechtlich zunächst nicht verwehrt gewesen. Im Fall der endgültigen Aufgabe nach Beginn der Durchführung des Vorhabens hätte die Bahn aber dazu verpflichtet werden können, den früheren Zustand zum Wohl der Allgemeinheit wiederherzustellen.
„Die Möglichkeit, dass dauerhaft keine brauchbare Bahninfrastruktur in der Stuttgarter Innenstadt zur Verfügung gestanden hätte, hat deshalb nicht bestanden“, stellten die Richter klar. Faktisch habe gegen einen Abbruch schon früh gesprochen, dass der Staatskonzern den Abbruch und eine Wiederherstellung selbst hätte finanzieren müssen. Außerdem hätte sie wohl auch die ihr bereits gewährte Förderung zurückzahlen müssen. Als Trägerin des Vorhabens sei sie originär für die Finanzierung verantwortlich.
Entscheidung rechtskräftig
Die Zulassung der Berufung ist in solchen Konstellationen nur in engen Grenzen möglich, die in diesem Fall nicht vorlägen, betonten die Richter. Insbesondere könnte ein Berufungsverfahren auch nicht mit dem Hinweis begründet werden, die Sache sei besonders schwierig. Den Fall nannten die Richter „übersichtlich“, weil es im Wesentlichen um den Finanzierungsvertrag gegangen sei.
Zwar umfasse das unterinstanzliche Urteil beinahe 200 Seiten, allerdings sei dies nicht Ausdruck einer besonderen Schwierigkeit, sondern sei der besonderen Sorgfalt der zuständigen Kammer geschuldet, befand der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss, der schon am Freitag erging, aber erst am Dienstag öffentlich wurde (Az.: 14 S 1737/24). Die Entscheidung ist damit rechtskräftig und kann von der Bahn nicht mehr angefochten werden. Der Konzern müsse die Entscheidung nun prüfen, sagte ein Sprecher. Auf eine weitere Kommentierung verzichtete die Bahn.
Palmer: „Trauerspiel“
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hielt hingegen mit seinem Ärger nicht hinter dem Berg. Das Ganze sei ein „Trauerspiel“, schrieb Palmer, der als früherer Politiker der Grünen lange als Stimme der Bahnhofsgegner auftrat, in einem Post auf der Internetplattform Facebook. Nach einem Streit mit seiner Partei ist er inzwischen parteilos. „Selten gab es eine größere Fehlentscheidung“, kritisiert er mit Blick auf die Planung und Bau des Bahnprojekts. „Mit 13 Milliarden hätte man eine 1-a-Bahn in ganz Baden-Württemberg hinbekommen.“ Allerdings warnte Palmer vor Schadenfreude. Die Kosten für das angeblich am besten geplante Projekt der Deutschen Bahn hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten verdreifacht. „Darüber könnte man sich ja freuen, wenn das nicht hieße, dass die Bahnkunden am Ende für den Unsinn aufkommen müssen.“
Auch die Wettbewerber der Bahn warnten vor den zusätzlichen Kosten. Diese müsse die Bahn aus dem eigenen Cashflow stemmen. „Weder der reguläre Verkehrshaushalt noch das geplante Sondervermögen dürfen für ein fehlkalkuliertes Einzelprojekt herhalten“, schrieben die Verbandsgeschäftsführer Matthias Stoffregen (Mofair) und Peter Westenberger (Die Güterbahnen) in einer gemeinsamen Erklärung. „Die dringend nötige Netzsanierung und der Ausbau der Schieneninfrastruktur in der Fläche dürfen nicht die Zeche für Stuttgart zahlen.“
Stuttgart 21 sei nie ein gewöhnliches Schienenprojekt gewesen, sondern ein „untypisch finanziertes Immobilienvorhaben“, politisch eng begleitet bis ins Bundeskanzleramt unter seinem damaligen Leiter und späteren DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla. „Nun ist der Eigentümer gefragt: Der Bund muss für sein Auch-Immobilienunternehmen Deutsche Bahn AG einen eigenen Weg finden, um den Finanzbedarf zu decken – außerhalb von Verkehrsbudget und Sondervermögen.“