Bundespräsidentenwahl: Hat Ilse Aigner eine Chance?

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Die nächste Wahl zum Bundespräsidenten findet Anfang 2027 statt. Die Zeit bis dahin ist in der Politik eine kleine Ewigkeit, in diesen Zeiten zumal. Und dennoch wird schon mit einiger Leidenschaft darüber debattiert, wer als Nachfolger oder Nachfolgerin von Frank-Walter Steinmeier infrage komme. Eine, über die zuletzt vor allem in Bayern immer wieder als mögliche Kandidatin geschrieben und gesprochen wurde, ist Ilse Aigner, ehemalige baye­rische Wirtschafts- und Bundeslandwirtschaftsministerin, derzeit Präsidentin des Bayerischen Landtags.

Warum Aigner? Sie ist beliebt, in der eigenen Partei, aber auch beim politischen Gegner. Sie ist seit Langem mit CDU-Chef und Kanzler Friedrich Merz befreundet. Dessen Familie hat ein Häuschen am Tegernsee, im Stimmkreis von Ilse Aigner. Die hat in ihrer Karriere hin und wieder Zweifel an ihrem Biss gelassen, zumal im Vergleich zu Markus Söder, mit dem sie 1994 zusammen in den Landtag gewählt wurde. Diesmal hat sie aber erkennen lassen, dass sie sich das Amt zutrauen würde, dass sie Lust darauf hätte. Für sie spricht auch, dass sie eine Frau ist.

Es sind zwar auch Hinweise zu vernehmen, nicht zuletzt in München, dass es ja jetzt eine Bundestagspräsidentin gebe, außerdem lägen die 16 Jahre Kanzlerschaft einer Frau noch nicht lange zurück, ein weiterer Mann im Schloss Bellevue verbiete sich also nicht von selbst. Aber es überwiegt doch die Auffassung, dass es jetzt eine Frau sein sollte, aus Prinzip, aber auch aus strategischen Gründen. Wie sagt ein CSU-Mann: „Das ist eine besondere Chance für die Union und Merz, bei den Frauen zu punkten.“

Söder hat Aigner selbst ins Spiel gebracht

Das Interessante ist, dass der baye­rische Ministerpräsident und CSU-Vor­sitzende Markus Söder Aigner selbst ins Spiel gebracht hat. Das war, wie die F.A.Z. erfahren hat, Anfang 2022, in der Unions-internen Debatte, ob man Steinmeier eine zweite Amtszeit ermöglichen solle – oder eine eigene Kandidatin präsentieren, die auch für die Grünen wählbar wäre, auch wenn diese da schon in einer Ampelregierung waren.

Mehrere anerkannte Frauen mit Bayern-Bezug waren seinerzeit intern ins Spiel gebracht worden, etwa die aus Dachau stammende Spitzendiplomatin Helga Schmid. Bayern-Bezug deshalb, weil in der Ampel Leute aus dem Freistaat unzureichend repräsentiert waren. Aber die Versuche, die Grünen zu umgarnen, wurden dann doch nicht mit der letzten Konsequenz verfolgt.

Bei mindestens zwei Gelegenheiten brachte Söder auch den Namen Ilse Aigner ins Spiel: Gegenüber dem designierten CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, aber auch vor einem größeren Kreis bei einer gemeinsamen Präsidiumssitzung von CDU und CSU – im Beisein Aigners. Man weiß von Söder, dass er nun wirklich kein Fan von Steinmeier ist. Insofern hätte man nachvollziehen können, wenn er eine zweite Amtszeit von ihm hätte verhindern wollen. Allein: Er zog den Namen Aigner aus dem Hut, als er sich sicher sein konnte, dass es für eine Unions-Kandidatin keine Mehrheit in der Bun­desversammlung geben würde. Was war sein Kalkül? Wollte er später sagen können: Ilse, du hattest deine Chance? Wollte er sie verbrennen? Oder hält er sie ernsthaft für eine gute Kandidatin, womöglich bis heute?

CSU und Bier: Ilse Aigner neben Doro Bär, Markus Söder und Angelika Niebler
CSU und Bier: Ilse Aigner neben Doro Bär, Markus Söder und Angelika Nieblerdpa

Man wüsste sehr gern, was Söder sich von Merz hat zusichern lassen, damit er im Kampf um die Kanzlerkandidatur einlenkte, und was er später in den Koalitionsverhandlungen CDU und SPD ab­gerungen hat. Das Schloss Bellevue für die CSU? Zeitweise war Söder selbst Interesse am Bundespräsidentenamt nachgesagt worden. Seine zahlreichen Auslands­reisen schienen in diese Richtung zu weisen. Er dementierte jedoch oder ließ dementieren. Tenor: Er sei ein Mann der Exekutive, mit ungebrochenem Gestal­tungs­willen. Aber geschmeichelt haben dürfte es ihm trotzdem, dass er überhaupt für so resozialisierbar gehalten wurde und dass man ihm verschiedentlich zutraute, nach den bisher eher bleiernen Steinmeier-Jahren dem Amt neues Leben einzuhauchen.

Aigners rhetorische Fähigkeiten gelten als limitiert

Dass jetzt der Fokus auf Aigner liegt, dürfte schon deshalb schwer mit seinem eigenen Selbstverständnis in Einklang zu bringen sein, aber auch generell mit dem eines CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten. Es gibt zu der jet­zigen Konstellation eine Blaupause in der CSU-Geschichte. 1983 ging es darum, wer Karl Carstens als Bundespräsident nachfolgen sollte. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl fragte beim damaligen bayerischen Kultusminister Hans Maier an – so jedenfalls schildert es dieser in seinen Erinnerungen. Demnach war er offen für eine Kandidatur, aber die wurde ausgerechnet von Franz Josef Strauß hinter­trieben. Der CSU-Vorsitzende hatte zwar immer wieder den Anspruch seiner Partei bekräftigt, eines Tages auch das höchste Staatsamt zu besetzen. Er hatte jedoch größte Probleme damit, dass dann ein anderer CSU-Mann protokollarisch über ihm stünde – und er wollte sich, wie Maier schreibt, „persönlich alle Wege für eine mögliche Option für Bonn freihalten“.

Aigner freilich ist ein ganz anderer Typ als Hans Maier. Sie wird stärker als ge­nuin bayerische Figur wahrgenommen, was im Rest der Republik nicht unbedingt von Vorteil ist. Die einzige Waffe, die ein Bundespräsident habe, heißt es immer, auch im politischen München, sei das Wort. Dieses beherrschte und beherrscht der renommierte Politikwissenschaftler Maier virtuos. Aigners Möglichkeiten auf dem Feld der Rhetorik und dem der Augen öffnenden Gedanken gelten als limitiert – dieser Auffassung ist man nicht nur im Umfeld der Staatskanzlei und der CSU-Zentrale. Wie sagt ein CSU-Mann, der ihr durchaus wohlgesinnt ist: Sie sei „das menschliche Gesicht des Staats“, ein „Mensch wie du und ich“, sie könne „zusammenführen, Gemeinschaft fühlen lassen“.

Das sei „in einer gespaltenen Gesellschaft das aktuellste Erfordernis“. Bernd Posselt, kraft seines Amts als Landesvorsitzender der Union der Vertrie­benen im Parteivorstand, sagt: „Ich halte sehr viel von der Ilse Aigner.“ Sie sei geeignet für das Bundespräsidentenamt. Sie könne integrieren, sie sei blitzgescheit, sie sei unabhängig, sie sei bescheiden, habe sehr viel Humor, habe „das Herz am richtigen Fleck und den Kopf an der richtigen Stelle“. Das sei sehr viel heutzutage und „wichtiger, als der Chefphilosoph von Deutschland zu sein“.

Glaubt Söder noch an eine Kanzlerkandidatur?

Diese „Assets“ hat Aigner durchaus erkannt. Ihre gut aufgestellte Kommuni­kationsabteilung im Landtag arbeitet daran, sie hervorzukehren. Auch sie selbst tut das, insbesondere im Umgang mit der AfD-Fraktion im Landtag. Während AfD-Politiker sie im persönlichen Umgang als unkompliziert erleben, gibt sie sich bei der Sitzungsführung streng. Zuletzt, vor Beginn der Sommerpause, hielt AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner ei­ne scharfe Rede, in der sie gegen andere Fraktionen und Migranten austeilte. Aigner forderte sie mehrfach auf, sich an die Gepflogenheiten zu halten und versöhn­liche Töne anzuschlagen. Als Ebner-Steiner unbeirrt fortfuhr, drehte ihr Aigner das Mikrofon ab. Sie bekam dafür erwartbar viel Applaus auf Social Media, etwa von den Grünen. Deren Fraktionschefin Katharina Schulze schrieb auf der Plattform „X“: „Danke für die klare Haltung und souveräne Sitzungsleitung.“

Im Plenum greift sie gegen die AfD scharf durch: Landtagspräsidentin Ilse Aigner
Im Plenum greift sie gegen die AfD scharf durch: Landtagspräsidentin Ilse Aignerdpa

Unter Söder-Leuten wurde die Aktion hingegen eher als PR in eigener Sache verbucht oder jedenfalls als gerade nicht zusammenführend und integrierend bewertet. Söders Staatskanzleichef Florian Herrmann äußerte sich kritisch in einem Abgeordneten-Chat, auch Söder selbst sagte intern, das sei nicht gut gewesen.

Worum geht es Söder? Glaubt er noch daran, Kanzlerkandidat werden zu können? Dann müsste er Aigner verhindern. Denn zwei Bayern in höchsten Berliner Ämtern wären einer zu viel – mindestens. Andererseits nehmen manche in der CSU wahr, dass es Söder selbst inzwischen weniger um die Kanzlerkandidatur als vielmehr darum gehe, seine ja durchaus beträchtliche Macht so lange wie möglich absichern.

Das hat er an der Spitze der Landtagsfraktion geschafft, das ist ihm in fast allen Bezirksverbänden gelungen. Würde Aigner Bundespräsidentin, müsste sie den Vorsitz des mächtigen CSU-Bezirksverbands Oberbayern aufgeben. Söder könnte versuchen, an ihrer statt eine Vertraute wie seine Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber zu installieren, um zu vermeiden, dass dereinst aus Oberbayern eine Revolution gegen ihn, den Mittelfranken, angezettelt wird.

Auch Kramp-Karrenbauer werden Chancen zugestanden

Dass Söder aber unterm Strich einer Kandidatur Aigners zumindest skeptisch gegenübersteht, zeigen indirekt die Parteifreunde, die sich für Aigner ausge­sprochen haben, ganz offensichtlich auch, um Söder eins reinzuwürgen. Das gilt vor allem für seinen Vorgänger Horst See­hofer und den ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, die beide eine lange Geschichte der Abneigung gegenüber dem CSU-Chef haben. Aber es gibt auch andere weniger Verdächtige, die sich für Aigner starkmachen, etwa in Telefonaten mit Merz. Sie wollen sich aber nicht öffentlich äußern. Auch um Söder nicht zum Gegenangriff zu reizen.

Neben dem amtierenden Bundespräsidentin: Folgt Ilse Aigner ihm nach?
Neben dem amtierenden Bundespräsidentin: Folgt Ilse Aigner ihm nach?dpa

Dass überhaupt über Aigner debattiert wird, liegt auch daran, dass es in der Union nicht allzu viele andere Frauen gibt, die führende Parteileute für disku­tabel halten. Eine ist Julia Klöckner, doch die gilt, anders als Aigner, links der CDU als kaum vermittelbar und soll mit ihrem gegenwärtigen Posten auch ganz glücklich sein. Die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien, die jüngst im „Spiegel“ genannt wurde, dürfte der CSU kaum vermittelbar sein, nicht nur weil sie vorher in Schleswig-Holstein war.

Am ehesten werden der ehemaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer Chancen zugestanden. Sie soll nicht nur Interesse haben, vielmehr ist sie bei Söder gut gelitten, und Merz soll ihr gegenüber eine ge­wisse Verpflichtung verspüren, weil sie ihm, im Unterschied zu anderen früheren Parteichefinnen, keine Stöcke zwischen die Beine geworfen hat.

Aigner wiederum hätte aus Merz-Sicht den Vorzug, dass mit ihr Söders bundespolitische Ambitionen zurückgedrängt wären – eine übrigens auch für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst inte­ressante Perspektive. Und dann ist ja da auch noch die SPD, von der man nicht weiß, wie hoch sie den Preis treiben wird, sollte sie auf ihre Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf verzichten. Wie erwähnt: 2027 ist weit und der Weg dahin gepflastert mit Ungewissheiten.