Interview mit Beamtenbund-Chef Volker Geyer: „Die Leute können nicht mehr“

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Herr Geyer, Sie sind seit wenigen Wochen DBB-Vorsitzender. Kaum im Amt, sind Sie mit der Bundesarbeitsministerin wegen deren Vorschlag in Streit geraten, Beamte sollten in die Rentenversicherung einzahlen. Setzen Sie auf Konfrontation?

Den Streit habe ich nicht gesucht. Wenn Bärbel Bas meint, ohne triftigen Grund das Berufsbeamtentum infrage zu stellen, muss sie mit meinem Widerstand rechnen. Frau Bas blendet zudem aus, dass mit Überführung der Beamten in die Rentenversicherung kein Problem unseres Sozialsystems gelöst wäre. Stattdessen kämen auf den Staat jährliche Mehrkosten von 27 Milliarden Euro zu, die nicht zu stemmen sind.

Es wäre nicht so teuer, wenn nicht alle Beamten auf einmal überführt werden. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann meint, das Rentenproblem könne nicht gelöst werden, ohne über die Altersversorgung der Beamten zu sprechen.

Ich verstehe nicht, was das soll. Herr Linnemann sollte noch mal im Grundgesetz nachlesen: Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums sind dort geschützt. Dazu gehört auch die Altersversorgung. Der Staat erwartet von den Beamten besondere Loyalität und verwehrt ihnen das Streikrecht. Dafür ist er umgekehrt zu besonderer Fürsorge verpflichtet. Das gilt umso mehr, da der Gesetzgeber ständig neue Aufgaben erfindet, ohne Personal dafür bereitzustellen.

Sie fragen jährlich bei Ihren 41 Mitgliedsgewerkschaften ab, ob das Personal zur Aufgabenbewältigung reicht. Haben Sie für 2025 schon Zahlen?

Wir gehen davon aus, dass aktuell 600.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst fehlen. Das ist ein neuer Rekordwert. Insbesondere bei der Bundespolizei, beim Zoll, in Schulen, Pflegeheimen und in der Justiz ist der Personalbedarf noch einmal gestiegen.

Bei der Bundespolizei könnte das mit den Grenzkontrollen zusammenhängen. Diese Kontrollen verteidigt die Deutsche Polizeigewerkschaft im DBB vehement. Jetzt beschweren Sie sich über fehlendes Personal. Ist das nicht widersprüchlich?

Nein, ist es nicht. Für die Grenzkontrollen gibt es gute Gründe. Die Politik muss das Personal dafür bereitstellen.

Es ist unrealistisch, 600.000 Beschäftigte zu gewinnen. Wo wollen Sie Aufgaben einsparen?

Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie künftig bei jeder neuen Aufgabe, die sie an Länder oder Kommunen überträgt, gleichzeitig eine digitale Lösung anbietet, um diese Aufgabe effizient zu bewältigen. Zurzeit sind Länder und Kommunen da auf sich allein gestellt. Das hatte bei der Wohngeldreform zur Folge, dass manche Städte über hundert neue Leute einstellen mussten, während andere die neuen Aufgaben mithilfe von KI ohne mehr Personal geschafft haben. Wir müssen weg von diesen Insellösungen, hin zu standardisierten Verfahren.

Kann der Bund auch selbst durch KI Stellen sparen?

Ja. Der Personalmangel beim Zoll ließe sich zum Beispiel reduzieren, wenn die Pakete durch KI vorsortiert würden. Anders bekommen wir auch die Paket-Tsunamis aus Fernost – Stichwort Temu – nicht in den Griff.

Sie werden aber nicht alle Personalprobleme mit KI lösen können. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche meint, die Menschen müssten länger arbeiten. Ein guter Vorschlag?

Nein, der Vorschlag geht komplett an der Lebenswirklichkeit und den Anforderungen der Arbeitswelt vorbei. Wir haben schon heute eine extreme Zunahme an psychischen Erkrankungen. Die Leute können nicht mehr. Für die Bundesbeamten fordern wir übrigens das Gegenteil: Die Rücknahme der vor über zwanzig Jahren „vorübergehend“ auf 41 Stunden erhöhten Wochenarbeitszeit. Das wird uns seit Jahren versprochen. Unsere Geduld geht zu Ende.

Volker Geyer ist Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes.
Volker Geyer ist Bundesvorsitzender des Deutschen Beamtenbundes.Lucas Bäuml

Das werden Sie angesichts der Personalmangels nicht durchsetzen können. Auch der Bundeskanzler ist der Meinung, die Leute müssten eher mehr als weniger arbeiten.

Denkbar wäre zumindest ein Einstieg, eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit für bestimmte Gruppen oder eine stufenweise Verringerung. Es ist aber richtig, dass für die Bundesbeamten aktuell zwei andere Punkte noch drängender sind: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt muss sich zeitnah zur Übertragung der Tarifergebnisse der Arbeitnehmer auf die Bundesbeamten äußern. Und er muss die Besoldung an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anpassen. Karlsruhe hat schon 2020 entschieden, dass die Besoldung nicht mehr verfassungskonform ist.

Das Bundesinnenministerium schlug unter Nancy Faeser vor, bei der Zuschlagsberechnung zu unterstellen, der Ehepartner des Beamten bringe ein Minijob-Einkommen in die Familienkasse ein. Sie waren dagegen. Warum?

Weil es nicht sachgerecht ist. Ich kann doch nicht einfach Partnereinkommen erfinden.

Aber die Alleinverdiener-Ehe entspricht auch bei Beamten in den meisten Fällen nicht mehr der Realität.

Das mag sein. Trotzdem ist das Zugrundlegen solcher fiktiven Nebeneinkommen unseriös. Wir brauchen eine Anhebung der Grundgehälter.

Schwarz-Rot hat vereinbart, die Vergütung im öffentlichen Dienst stärker auf leistungsorientierte Komponenten auszurichten. Was halten Sie davon?

Das kommt auf die Details an. Richtig ist, dass Beamte stärker motiviert werden könnten, indem man ihre Karrieremöglichkeiten verbessert und die Laufbahnen durchlässiger macht.

Das Verhältnis des Beamtenbunds zu Schwarz-Rot scheint ähnlich kompliziert wie zur Ampel zu sein.

Der Austausch mit dem neuen Bundesinnenminister war bisher angenehm. Wir erwarten, dass er jetzt liefert.

Vielleicht hat der Beamtenbund zu einseitig auf die Union gesetzt? In Ihrer hauptamtlichen Bundesleitung sitzen zwei CDU-Mitglieder, aber kein Sozialdemokrat.

Wir pflegen gute Kontakte zur SPD. Die Einseitigkeit, die Sie unterstellen, sehe ich nicht.

Sind Sie mit AfD-Politikern im Austausch?

Nein. Das Bedürfnis habe ich nicht. Wir werden auch künftig keine AfD-Vertreter zu unseren Veranstaltungen einladen.

Sollten AfD-Mitglieder Beamte sein dürfen?

Die Rechtslage ist eindeutig: Es kommt auf den Einzelfall an. Die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei reicht allein nicht aus, um jemanden den Beamtenstatus zu entziehen, es kommt auf konkrete Taten oder Äußerungen an. Klar ist, dass für Extremisten im öffentlichen Dienst kein Platz sein darf.

Sie sind kurzfristig ins Amt gekommen, weil ihr Vorgänger aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten war. Ihre Amtszeit geht nur bis zum Herbst 2027. Sind Sie ein Übergangsvorsitzender?

Nein, das bin ich nicht. Ich werde auf dem Gewerkschaftstag 2027 abermals antreten.