Wegen EU-Verordnung: Strategiebruch für politische Werbung im Netz

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Meta und Google wollen von Oktober an keine Werbung zu politischen oder gesellschaftlich relevanten Themen mehr zulassen. Grund dafür ist die EU-Verordnung für Transparenz und Targeting politischer Werbung (TTPA). Laut Unternehmen wie Meta und Google lege die Verordnung den Begriff „politische Werbung“ sehr weit aus und mache unverhältnismäßige Vorgaben für Transparenz und zielgerichtete Ausspielung der Werbung.

Die Verordnung, die im Oktober in Kraft tritt, war vonseiten der EU eine Reaktion auf den Skandal um das Unternehmen Cambridge Analytica. Das britische Unternehmen soll durch seine massenhafte Auswertung von Daten des sozialen Netzwerks die amerikanische Präsidentschaftswahl 2016 und das Brexit-Referendum im selben Jahr in Großbritannien beeinflusst haben. Mithilfe der Verordnung soll es nun transparenter werden, wann eine Werbung von jemandem stammt, der Einfluss auf eine Wahlentscheidung oder gesellschaftliches Denken zu einem Thema ausüben will.

Da die Plattformunternehmen die Verordnung für schlecht umsetzbar halten, haben sie sich dazu entschieden, politische Werbung insgesamt zu verbannen, um nicht etwa das Ziel von Klagen zu werden. Wie ein Blick in das Transparenzregister von Meta zu dieser Werbekategorie offenbart, trifft das Verbot neben politischen Parteien auch staatliche Stellen, Verbände und Nichtregierungsorganisationen. Die ersten Plätze der Liste, die Daten seit April 2019 aufführt, werden vom Bundesgesundheitsministerium (4,4 Millionen Euro), dem Umweltverein Greenpeace (4,2 Millionen Euro) und dem Kampagnenverein Campact (4,2 Millionen Euro) belegt.

Optimierung der eigenen Kampagnen

Die F.A.Z. wollte von großen Werbekunden, Parteien und Agenturen wissen, wie das Werbeverbot auf Meta-Plattformen sie in ihrer Arbeit beeinflusst. Der Verein Campact tritt laut Selbstbeschreibung vor allem für „progressive Politik“ ein. Der F.A.Z. schreibt er auf Anfrage, das Verbot „trifft vor allem progressive, demokratische Akteur*innen, die auf bezahlte Reichweite angewiesen sind“. Die Algorithmen der Plattformen bevorzugten „Hass und Hetze“, weswegen rechtsextreme Gruppen dort oft erfolgreicher in ihrer Werbung seien.

Campact schreibt zwar von Erfolg der eigenen Kampagnen im Kreise seiner Unterstützer. Aber in Zukunft wolle sich der Verein stärker auf bezahlte programmatische Werbung auf Nachrichtenportalen und Blogs konzentrieren. Auch die Optimierung der eigenen Kampagnen für Suchmaschinenwerbung und KI-Zusammenfassungen hat der Verein im Blick.

Anderes Vorgehen gefragt

Die Werbung politischer Parteien dürfte stark von dem Verbot betroffen sein. Einige von ihnen gaben laut Transparenzregister von Meta größere Summen für ihre Werbung auf den Plattformen des Unternehmens aus. Allerdings setzen sie verschieden stark auf die Werbung in diesen Kanälen.

Die Partei Die Linke feierte mit Videos der Reden ihrer Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Heidi Reichinnek, mitunter virale Erfolge – ohne viel Geld für die Verbreitung zu bezahlen. Der Bundesgeschäftsführer der Partei, Janis Ehlig, schreibt zum Verbot: „Außerhalb von Wahlkämpfen spielt bezahlte Werbung in unserer Kommunikation eine zu vernachlässigende Rolle.“ Vielmehr bekräftigt Ehlig eine Strategie, die auf „plattformgerechten Content, ein ausgezeichnetes Community-Management, digitales Organising und die Zusammenarbeit mit Content-Creator*innen“ setzt.

Bezahlte Reichweite bricht weg

Dennoch kritisiert er den Schritt der Plattformen, denn seiner Ansicht nach sei die Verordnung TTPA durchaus umsetzbar. Die Entscheidungen von Meta und Google seien bewusst getroffen, um „die EU-Staaten durch ein angekündigtes pauschales Abschalten politischer Werbung unter Druck zu setzen“.

Ein anderes Bild ergibt sich bei den Grünen, deren Bundespartei seit 2019 rund 4,3 Millionen Euro für eigene Seiten und die des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und Kanzlerkandidaten Robert Habeck ausgegeben hat. Die Parteizentrale schrieb der F.A.Z.: „Das angekündigte Werbeverbot ab Oktober 2025 verändert die digitale Kampagnenarchitektur grundlegend.“ Aber auch bei den Grünen sieht man darin einen sich beschleunigenden Strukturwandel. So soll die politische Kommunikation mit dem Verbot, dessen konkrete Umsetzung man abwarten will, nicht enden. „Wir verstehen sie als dauerhaften Dialog mit engagierten Menschen, unabhängig von Kanälen oder Paid-Media“, heißt es von der Partei.

Zusammenarbeit mit großen Konten wird wichtiger

Weniger grundlegend beeinträchtigt in ihrer Arbeit sieht sich die Agentur Jung von Matt, die den vergangenen Bundestagswahlkampf der Grünen organisierte. Werberichtlinien änderten sich „regelmäßig und müssen ohnehin stets neu bewertet werden“, schreibt Geschäftsführer Peter Ströh. Man sei gewohnt, mit solchen Änderungen umzugehen. Entscheidender als der bezahlte Werbeplatz sei ohnehin der Inhalt, der transportiert wird. „Was nicht interessiert, erzeugt auch mit großem Budget keinen nachhaltigen Impact“, schreibt Ströh. Dennoch sieht Ströh auch die Schwierigkeiten, die sich aus dem Wegfall der Werbung auf den Plattformen ergeben. Zielgruppen, die den Inhalten der Werbetreibern nicht ohnehin zugeneigt seien, seien damit künftig schwerer zu erreichen.

Deswegen sei es in Zukunft noch mehr nötig, mit Konten mit vielen Abonnenten auf den jeweiligen Plattformen zusammenzuarbeiten und die Inhalte entsprechend der Algorithmen, Formate und im Trend liegenden Stilmittel der Plattformen anzupassen. „Wir raten unseren politischen Kund:innen deshalb auch, bereits bei der Vorbereitung von Reden, Terminen oder Presse-Statements mitzudenken, wie Inhalte später auf Social Media funktionieren können“, schreibt Ströh.

„Für uns ändert sich wenig“

Auch Iconemy, die Agentur der Wahl für das Bündnis Sahra Wagenknecht, rät zu einem Strategiewechsel. Geschäftsführer Errol Hutterer schreibt: „Wir verlagern die Schwerpunkte stärker auf organische Reichweite, Community-Building und plattformübergreifende Erzählungen.“ Zwar würden Plattformen mit flexibleren Richtlinien zukünftig an Bedeutung gewinnen. „Trotzdem bleibt Meta relevant, etwa für organische Formate, Dialog mit der Community oder Veranstaltungsankündigungen.“ Wiedererkennbarkeit, Interaktion und das Streuen der Inhalte in verschiedenen Formaten auf verschiedenen Plattformen hält Hutterer für in Zukunft wichtige Aspekte von Kampagnen in sozialen Medien. Bisher habe je nach Partei der Anteil des Medienetats für soziale Medien rund zehn Prozent betragen, schreibt Hutterer.

Der AfD wurde in der Kommentierung ihrer Aktivität in sozialen Medien für die vergangene Bundestagswahl besonderer Erfolg bescheinigt. Allerdings weniger mit bezahlter Werbung als mit viralen Clips von Kandidaten der Wahl oder von Bundestagsreden ihrer Abgeordneten. Der Geschäftsführer der mit dafür verantwortlichen Agentur Tannwald, Alexander Kleine, schreibt der F.A.Z. zum Verbot: „Für uns ändert sich wenig. Wir arbeiten seit jeher mit Inhalten, die auch ohne bezahlte Reichweite funktionieren – weil sie relevant sind.“ Das Verbot treffe vor allem jene, deren politische Kommunikation nicht darüber hinausgeht, einen Beitrag hochzuladen und diesen mit Geld zu bewerben. Die Budgets für die Kampagnen der Agentur lagen „oft im mittleren fünfstelligen Bereich“.