Kritik an Friedrich Merz wegen Israel-Entscheidung: Manche machen es sich zu leicht

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Die Entscheidung des Bundeskanzlers, Israel keine Rüstungsgüter mehr zu liefern, die im Gazakrieg eingesetzt werden könnten, hat den israelischen Ministerpräsidenten nicht dazu gebracht, den Befehl für die angekündigte Offensive zu widerrufen. Der partielle Lieferstopp wird auch die Schlagkraft der israelischen Armee kaum verringern. In die deutsche Sommerpause aber schlug der Beschluss des Kanzlers ein wie die sprichwörtliche Bombe. Er ist als Tabubruch verstanden und dargestellt worden – als Bruch mit der deutschen „Staatsräson“, für die Sicherheit Israels Sorge tragen zu müssen.

Der Kanzler hat inzwischen erklärt, dass sich an den Grundsätzen der deutschen Israelpolitik nichts geändert habe. Es gebe nur einen Dissens über das weitere Vorgehen Israels im Gazastreifen. Der aber könnte kaum größer sein, auch wenn man sich völlig einig ist und auch nur sein kann, wer die Schuld an diesem Krieg trägt: die Hamas, die den Staat Israel und sein Volk auslöschen will. Mit dem bestialischen Angriff vor fast zwei Jahren hat sie allerdings ihr eigenes Schicksal besiegelt. Es war (auch in Berlin) klar, wie Israel auf diese existenzielle Bedrohung reagieren würde und musste.

Solange es die Hamas gibt, ist Israel nicht sicher

Der Kanzler dankte der israelischen Regierung erst kürzlich dafür, dass sie der internationalen Gemeinschaft die „Drecksarbeit“ abnehme: die Vernichtung dieser Terrororganisation, die nicht nur Israelis abschlachtet und verschleppt, sondern auch ohne Zögern ihre eigenen Landsleute opfert, wenn ihr das Vorteile in der Schlacht der Waffen und der Propaganda bringt. Solange es eine solche Macht im Nahen Osten gibt, ist Israel nicht sicher und an einen Frieden nicht zu denken.

Doch inzwischen wird nicht nur in Berlin mit großer Sorge verfolgt, wie skrupellos Netanjahu den Freibrief für die Drecksarbeit (auch zur Verfolgung eigener politischer Zwecke) nutzt, der ihm insbesondere von seinem wichtigsten Unterstützer Trump ausgestellt worden ist. Die Kriegsführung Israels in Gaza bleibt nicht in den Grenzen dessen, was das besonders von Deutschland immer hochgehaltene Völkerrecht Kriegsparteien und Besatzungsmächten vorschreibt.

In der EU mehren sich angesichts des Elends im Gazastreifen die Stimmen, die viel umfangreichere Sanktionen gegen Israel verlangen als den partiellen Stopp der Waffenlieferungen, bis hin zur Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Berlin hat sich als Fürsprecher Israels all diesen Forderungen widersetzt, auch der Anerkennung Palästinas als Staat, woran Deutschland seinen wichtigsten Partner in der EU aber nicht hindern konnte.

Berlin konnte Netanjahu nicht von seinem Kurs abbringen

Weitgehend fruchtlos blieben allerdings auch die vielen Gespräche, in denen Merz und sein Außenminister die Regierung Netanjahu dazu bringen wollten, eine ausreichende Versorgung des Gazastreifens zu ermöglichen und einen Waffenstillstand anzustreben. Netanjahus Beschluss, Gaza-Stadt und die Flüchtlingslager einzunehmen, wird die katastrophale Lage der Menschen dort noch verschärfen. Diese Aussicht hat Merz dazu bewogen, es nicht länger nur bei kritischen Worten zu belassen.

Mit seiner offenbar ziemlich einsamen Entscheidung überrumpelte der Kanzler jedoch alle im eigenen Lager, die weiterhin an einer bedingungslosen Unterstützung festhalten wollen, was immer die Regierung Netanjahu auch beschließt und tut, so umstritten das in Israel selbst sein mag.

Was genau die „Staatsräson“ verlangt, ist nie ausbuchstabiert worden

Doch wie weit würde Deutschland einen Weg mitgehen, wenn es ihn für falsch und fatal hält, aus realpolitischen, rechtlichen, humanitären oder moralischen Gründen? Dieser Frage ist die deutsche Politik bei allen Schwüren auf die „Staatsräson“ ausgewichen, deren konkrete Imperative bislang nie ausbuchstabiert wurden. Merz hat die Frage am Freitag für sich und die Bundesregierung beantwortet, aber nur dürftig erklärt. Der Vorwurf, er habe einer Täter-Opfer-Umkehr das Wort geredet, ist Unsinn. Berechtigt aber ist der Einwand, dass die Entscheidung für den Lieferstopp den Einfluss Deutschlands auf die israelische Politik nicht vergrößern wird.

Das deutsch-israelische Verhältnis, von dem Deutschland gerade in der Sicherheitspolitik profitiert, wird davon jedoch nicht ruiniert. Netanjahu weiß aus eigener Erfahrung, dass auch die Außenpolitik eines Staates inneren Zwängen unterliegt, seien es die Ansichten von Koalitionspartnern oder Verschiebungen in der öffentlichen Meinung, wie sie in Bezug auf Israel auch in gemäßigten Kreisen Deutschlands zu beobachten sind.

Im Falle Berlins kommen auch noch die Prinzipien einer wertegeleiteten Außenpolitik hinzu, einer der Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Bei deren Beherzigung dem brutal überfallenen Israel gerecht zu werden, das mit aller Gewalt gegen seine Todfeinde zurückschlägt, dabei aber nicht nur sie trifft, ist schwieriger geworden. Da machen es sich manche Kritiker des Kanzlers in der Union zu einfach, manche wohl auch nur, weil er es wagte, sie vorher nicht zu fragen.