100 Tage Bundesregierung unter Merz: Koalition ohne Zauber

8

Selten sind die ersten hundert Tage einer Regierung so schnell vorübergegangen wie die der Merz-Regierung. Kaum und mit Mühe zum Kanzler gewählt, wurde schon so getan, als könne man die erste Bilanz seiner Leistungen ziehen. Friedrich Merz selbst hatte dazu beigetragen, freiwillig, weil er Erwartungen über einen „Politikwechsel“ hochgeschraubt hatte, unfreiwillig, weil er jahrelang als Projektionsfläche für alle möglichen Erwartungen eingespannt wurde: Migration, Wirtschaft, Sicherheit, Führung, Anti-Merkel, mit einem Wort: für ebenjenen Politikwechsel.

Um nicht ähnlich kraftlos zu enden wie die Ampelkoalition, schuf sich die Koalition noch im alten Bundestag ihr materielles Polster. Zwei gigantische „Sondervermögen“ für die Verteidigung und für Infrastruktur bewirkten aber auch, dass nun erst recht der Eindruck entstand, Deutschland stehe mit Merz vor einer Neugeburt. So ist es nicht gekommen, so konnte es nicht kommen.

Was kam, war die Folge eines Missverständnisses. Mit Erfolg hatten SPD und Grüne das Scheitern der Ampelkoalition der FDP in die Schuhe geschoben. Tatsächlich waren aber sie am Misserfolg mindestens ebenso beteiligt. Die Union musste sehr bald erkennen, dass ihr Koalitionspartner sich aus einem Politikwechsel heraushalten wollte. Die SPD regierte mit Lars Klingbeil an der Spitze geradewegs so weiter wie unter Olaf Scholz. Es gab nun sogar noch größere Sondervermögen, damit drum herum alles so bleiben konnte, wie es war.

Die CDU trotzte der SPD zwar eine migrationspolitische Wende und Entlastungen für Unternehmen ab; sie ließ sich dafür aber auf rentenpolitische Abenteuer ein, versprach im Koalitionsvertrag, Sozialleistungen mehr oder weniger unangetastet zu lassen, und entlastete die Privathaushalte nicht ganz so nobel wie angekündigt.

Die Ungeduld wuchs deshalb schnell, auch wenn die Koalition den „Investitionsbooster“ wie von Merz versprochen vorlegte. Dessen Wirkungen stellen sich nicht von jetzt auf gleich ein, und sie hängen von weiteren Schritten ab. Der Jungbrunnen der Republik, den die Union nach Jahren der Auszehrung zu Recht für nötig hält, ist mit den Stichworten Sozialreformen, Staatsmodernisierung, Entbürokratisierung, Deregulierung und Digitalisierung verbunden. Auch hier kommt der Erfolg nicht über Nacht. Aber dafür braucht es mehr Energie als für das Schürfen von Sondervermögen.

Wo ist der Hartz der CDU?

CDU-Generalsekretär Linnemann lag damit richtig, die SPD an Schröders Reformagenda zu erinnern. Allerdings wirkt diese Erinnerung auf Sozialdemokraten mehr abschreckend als motivierend. Und der Hartz der Union, das fiel bei Linnemann unter den Tisch, muss erst noch geboren werden. Merz, bislang mit ganzem Herzen Außenpolitiker, will oder kann es bislang offenbar nicht sein.

Damit ist die Grundkonstellation beschrieben, die dazu führt, dass dieser Regierung von Bürgern, die Reformen herbeisehnen, Skepsis und Misstrauen entgegenschlägt. Dabei wird vielleicht unterschätzt, wie sehr sich der Charakter einer Koalition aus CDU/CSU und SPD verändert hat. Repräsentierte sie zu Beginn des Jahrhunderts unter Merkel noch ein Spektrum, das zu Recht als großes Abbild einer breiten Mehrheit bezeichnet werden durfte, ist sie zu einem Defensivbündnis der Mitte geworden.

DSGVO Platzhalter

In beiden Teilen, in der Union und in der SPD, sind die Nerven ständig angespannt. In der Union, weil rechts von ihr eine starke Opposition steht, die große Schnittmengen zu CDU und CSU ins Schaufenster stellt, um deren Glaubwürdigkeit zu untergraben. In der SPD, weil sich deren Funktionäre in rot-rot-grüner Profilierungssucht dagegen aufbäumen, dass das linke Lager mehr und mehr an Einfluss verliert.

Schwieriges Geben und Nehmen

Der Streit über eine Richterin, die Kämpfe um die richtige Migrations- und Sozialpolitik zeigen, wie schwierig das Geben und Nehmen geworden ist, das SPD und Union über Jahrzehnte gepflegt haben. Sie sind nicht mehr die Platzhirsche der Bundesrepublik, sondern von Extremen verunsicherte Parteien, die um ihre Reviere kämpfen müssen. Da die SPD ihr Glück in linkem Traditionalismus sucht und die Union auf den „neoliberalen“ Irrwegen der Schröder-Ära wähnt, werden die Konfliktherde nicht weniger.

Wie verhärtet die Fronten schon jetzt sind, spricht aus der Stellungnahme des Fraktionsvorsitzenden Miersch zu dem vorläufigen Ausgang des Richterstreits. Wenn er die „demokratische Zusammenarbeit“ gefährdet sieht, weil Abgeordnete den Anweisungen ihrer Führung nicht gehorchen, macht er aus Demokratie eine Sache von Befehl und Gehorsam.

Ein solcher Anflug von Radikalisierung ist das Echo auf die Nöte, die zu dieser Koalition geführt haben, aber alles andere als eine Gewähr dafür sind, dass sie erfolgreich sein wird. Die Gefahr des Scheiterns ist nach hundert Tagen jedenfalls größer als die Hoffnung, dass es doch noch einen Politikwechsel gibt.