Es war auf jeden Fall ein Jahr der enormen Herausforderungen und mit einer komplexen Bedrohungslage. Ein Jahr, das die Beschäftigten der Bundespolizei an ihre Grenzen geführt hat.
Wie ist die körperliche und mentale Belastung der Bundespolizisten?
In beiden Bereichen ist die Belastung sehr hoch. Vor allem die Kollegen der Bundesbereitschaftspolizei sind das ganze Jahr nicht „aus den Stiefeln“ gekommen. Die Grenzkontrollen im Süden gibt es seit 2015, dazu kam die Belastung durch die Fußballeuropameisterschaft dieses Jahr, und unmittelbar danach ging es weiter an die übrigen Grenzen, die inzwischen alle kontrolliert werden. So was vergisst man nicht so schnell.
Sie waren früher selbst Grenzpolizist. Was unterscheidet die Arbeit der Bundespolizei heute von der Zeit Ihres Dienstes?
Genauso, wie sich die Welt inzwischen verändert hat, haben sich auch die Aufgaben der Polizei verändert. Aber auch die Ausstattung mit Schutzausrüstung und Fahrzeugen ist besser geworden. Das ist gut so. Schritt halten mit der sich verändernden Welt ist für die Polizei eine stetige Aufgabe.
Sie sind als Polizeibeauftragter Bindeglied zwischen Bürgern und der Polizei. Von welcher Seite wird häufiger Kontakt zu Ihnen aufgenommen?
Zu etwa zwei Dritteln sind es Menschen aus der Bevölkerung, rund ein Drittel kommt aus der Polizei.
Über was beschweren sich die Bürger?
Es gibt ein hohes Transparenzbedürfnis der Bürger gegenüber staatlichem Handeln. Die Menschen verstehen manchmal die Maßnahmen nicht, die gegen sie getroffen werden. Oder es geht um das Aufeinandertreffen von Bürgern und Polizei an Bahnhöfen, Flughäfen und Grenzkontrollstellen. Da wird sich auch über Racial Profiling beschwert.
Sind die Beschwerden über Racial Profiling berechtigt?
Ich sehe, dass die Polizei da sehr sensibel ist. Es gibt für dieses Spannungsfeld ein hohes Bewusstsein. Ich kann aber auch jeden verstehen, der zum x-ten Mal wegen seiner Hautfarbe kontrolliert wird und sich aufregt.
Beide Seiten haben also recht?
Es geht darum, dass nicht nur dieser eine Mensch mit schwarzer Hautfarbe kontrolliert wird. Sondern gleiches Recht für alle gilt.
Aber mussten Sie sich während Ihrer Zeit bei der Polizei nicht auch von Erfahrungswerten leiten lassen, anstatt beliebig Leute zu kontrollieren?
Ganz sicher. Dieser Erfahrungsschatz macht sich aber nicht an Haut- oder Haarfarbe fest. Sondern an ganz anderen Dingen. Das war auch zu meiner Zeit bei der Polizei so.
Welche Beschwerden erreichen Sie aus der Polizei?
Pauschal kann man sagen, dass die Eingaben aus der Polizei komplexer sind. Weil sie sich auf dienstrechtliche und disziplinarrechtliche Fragen beziehen. Es gibt aber auch Einzelfälle, bei denen es um Fehlverhalten der Vorgesetzten geht, etwa Mobbing oder sexuelle Belästigung.
Sind Chauvinismus und sexuelle Belästigung bei der Polizei ein größeres Problem als in anderen Berufsgruppen?
Das sind gesamtgesellschaftliche Probleme, die es in den Polizeibehörden genauso gibt. Die dort aber erst recht nichts verloren haben.
Weil die Polizei integrer sein muss als der Durchschnitt der Bevölkerung?
Der Anspruch, den die Polizei an sich selbst haben muss, sollte besonders hoch sein. Die Polizei muss im Bereich sexuelle Belästigung, Chauvinismus, Rassismus und Mobbing besonders aufmerksam sein. Das gilt für alle staatliche Institutionen.
Was können Sie dann konkret tun?
Wir wollen ein Bewusstsein und eine andere Mentalität schaffen. Es ist erforscht, dass nur ein Top-Down-Modell hilft: Wenn der Leiter einer Bundespolizeiinspektion auf seiner Dienststelle eine klare Ansage macht bezüglich eines Null-Toleranz-Klimas hinsichtlich sexueller Belästigung, dann herrscht in den meisten Fällen auch dieses Klima. Tut er das nicht, dann geht es anders zu. Wir haben wenige Eingaben zu sexuellen Belästigungen. Aber das Thema steht wie ein Elefant im Raum. Wir sind da entsprechend wachsam. Denn am Ende darf nicht stehen: Der Täter bleibt und das Opfer geht, wie es in vielen Fällen ist.
Gibt es Leute bei der Polizei, die Sie als Nestbeschmutzer betrachten?
Diese Debatte gab es schon in den Fünfzigerjahren bei der Einführung des Amts des Wehrbeauftragten. Generalverdacht, pauschaler Misstrauensverdacht, solche Sachen. Da erkenne ich manches wieder. Aber inzwischen begegnet mir das nicht mehr. Mir begegnet sehr viel Offenheit.
Die Union hat angekündigt, Ihr Amt nach einem Wahlsieg wieder abschaffen zu wollen.
Das ist Wahlkampf. Alles Weitere werden wir nach der Bundestagswahl sehen.
Die Bundespolizei bekommt immer mehr Personal. Ist die Ausstattung noch ausreichend?
Die 1000 neuen Stellen pro Jahr sind angemessen. Aber die neuen Kollegen müssen auch in die Behörde integriert und entsprechend ausgestattet werden. Zu Recht ist in den vergangenen Jahren die Erwartungshaltung gestiegen, eine moderne Ausstattung und angemessene Diensträume zu bekommen. Der Investitionsstau bei der Bundespolizei ist hoch. Da erwarte ich auch ein agiles Handeln der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.
Sie besuchen viele Dienststellen. In welchem Zustand sind die so?
Das Bild ist sehr heterogen. Ich sehe top sanierte Diensträume wie auch solche, in denen dringend etwas getan werden muss. Das betrifft vor allem die Unterbringung an den Bahnhöfen.
Sie saßen lange für die SPD im Bundestag. Die Partei sagt immer, Sicherheit lasse sich nicht teilen. Aber müsste nicht eine Priorität gesetzt werden bei der inneren Sicherheit?
Das eine geht nicht ohne das andere. Soziale Sicherheit bedeutet auch, dass Menschen gar nicht erst in Situationen kommen, in denen sie zu Straftätern werden. Egal, wie sich die Koalitionen der vergangenen Jahre zusammengesetzt haben, gab es den Konsens, dass an den Sicherheitsbehörden nicht gespart werden darf. Ich hoffe sehr, dass das auch so bleibt.
Sie sind auch an vielen Grenzübergängen zu Besuch. Was wird Ihnen dort geschildert von den Kontrollen?
Die Zahlen der unerlaubten Einreisen und der Asylanträge sind spürbar zurückgegangen. Das hat bestimmt auch mit den Grenzkontrollen zu tun. Ich sehe da unterschiedliche Konzepte, angepasst an die jeweilige Situation. An den Autobahnen gibt es gute Kontrollstellen, dazu kommen mobile Kontrollstellen, die funktionieren.
Welche Meinung haben Sie zu Zurückweisungen an der Grenze, wie sie die Union fordert?
Das Thema begegnet mir vor Ort nicht so sehr. Viel häufiger geht es um die Erwartung an die Justiz- und Ausländerbehörden, schnelle Entscheidungen zu treffen. Auch ein Ausbau der Abschiebehaftplätze wird oft gefordert. Und die Situation der Personenbegleiter Luft bei Abschiebungen ist immer wieder Thema. Das ist eine sehr fordernde Aufgabe.
Sie waren auch bei einem Abschiebeflug dabei. Wie haben Sie den Ablauf wahrgenommen?
Das ging wahnsinnig professionell zu. Die Abläufe sind über Jahre etabliert, es ist sehr viel Personal vor Ort. Alle gehen mit sehr viel Empathie an diese Aufgabe heran, da herrscht kein aggressives Klima. Die Maßnahme geht mit ganz vielen Gesprächen einher, um die Personen, die abgeschoben werden, aus der psychischen Ausnahmesituation wieder rauszuholen. Das gelingt der Bundespolizei sehr gut.
Teile des Sicherheitspakets, die die Bundespolizei betreffen und die Befugnis, verdachtsunabhängig zu kontrollieren, sind gescheitert, sollen jetzt noch gerettet werden. Wie wichtig wäre das?
Über Befugnisse muss diskutiert werden, etwa die IP-Adressen-Speicherung. Das Bundespolizeigesetz ist aus dem Jahr 1994, seither hat sich viel verändert. Die Herausforderungen für die Bundespolizei sind heute völlig andere. Die Bundespolizei muss etwa an Bahnhöfen gut untergebracht werden. Dazu muss auch die Deutsche Bahn AG ihren Beitrag leisten. Wir brauchen ein modernes Bundespolizeigesetz – und zwar zügig. Das ist eine große Aufgabe für die neue Bundesregierung.