Am Neujahrstag war die Energiewende plötzlich wieder buchstäblich zu spüren und zu sehen: überall Wind, die Räder drehten sich, und die laute Debatte um die Dunkelflaute von Anfang Dezember verhallte hinter den Rotoren: 125 Prozent Ökostrom-Produktion in Deutschland, negative Strompreise an der Börde, Nachbarländer wie Dänemark, Österreich oder die Schweiz importierten billigen grünen Strom aus Deutschland. Geht also 2025 weiter, was sich schon 2024 abzeichnete: Der europäische Strommarkt gewinnt durch den neuen deutschen Strommix mit viel Erneuerbaren? Durchaus, so das Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg in seiner neuesten Bilanz zur Stromproduktion des Vorjahres, aber die Bilanz ist keineswegs ohne Schatten.
Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Deutschland ist im vergangenen Jahr nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts noch mal auf 62,7 Prozent angestiegen. Aus regenerativen Energiequellen wurden 275,2 Terawattstunden Strom produziert. Das sind 4,4 Prozent mehr als im Vorjahr, wie die Forschenden kurz nach Neujahr mitteilten.
Die wichtigste Stromquelle war die Windkraft mit einem Anteil von 33 Prozent, auch wenn die Produktion von Windkraftanlagen an Land niedriger ausfiel als 2023. Vor allem der Onshore-Windanlagenbau an Land (insbesondere in Bayern) blieb hinter den Zielen der Ökostrom-Anbieter zurück. Im ISE-Bericht heißt es: „Der Ausbau der Windenergie bleibt allerdings weiterhin deutlich hinter dem Plan zurück: Bis November waren onshore 2,4 Gigawatt (GW) neu errichtet, geplant waren 7 GW.“
Die zweitwichtigste erneuerbare Energiequelle waren Photovoltaikanlagen, die 72,2 Terawattstunden erzeugten und rund 14 Prozent der Gesamterzeugung abdecken. Hier gab es im Vergleich zum Vorjahr laut Fraunhofer einen starken Anstieg um 18 Prozent. Der Ausbau von Photovoltaikanlagen übertraf ein weiteres Mal die Ziele der aktuellen Bundesregierung: „Statt der geplanten 13 Gigawatt wurden bereits bis November 13,3 Gigawatt errichtet.“ Allein 12,4 Terawattstunden wurden für den Eigenverbrauch produziert, sprich: hauptsächlich mit kleinen „Balkonkraftwerken“, deren Zahl deutlich auf geschätzt anderthalb Millionen gestiegen ist. Der wenigste damit produzierte Strom fließt allerdings ins öffentliche Netz, was auch daran liegt, dass der Ausbau der Batteriespeicher für eine „netzdienliche“ Pufferung hinterherhinkt. Insgesamt allerdings entwickelten sich die Batteriespeicher „rasant“, so das ISE. Die installierte Batterieleistung stieg von 8,6 (2023) auf 12,1 Gigawatt. „Im Segment der Großspeicher könnte sich in den nächsten Jahren die installierte Leistung vervielfachen, wenn alle von Projektierern im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur vorangemeldeten Projekte umgesetzt werden.“
Die Stromerzeugung aus Wasserkraft und Biomasse änderte sich im vergangenen Jahr kaum. Anders mit der Kernkraft: Sie ging nach dem Abschalten der letzten drei Atomkraftwerke im April 2023 im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 1962 auf null. Im letzten gesamten Betriebsjahr hatte die Kernkraft 6,3 Prozent der öffentlichen Stromerzeugung geliefert. „Dies wurde durch die Erzeugung aus erneuerbaren Energien energetisch ersetzt“, erklärten die Forschenden des Fraunhofer.
Klimawandelbedingt höhere Strompreise
Zugleich ging auch die Erzeugung von Kohlestrom weiter stark zurück. Braunkohlekraftwerke lieferten 8,4 Prozent weniger Strom, Steinkohlekraftwerke sogar 27,6 Prozent weniger. Die Stromproduktion aus Erdgas legte um 9,5 Prozent gegenüber 2023 zu.
Der Rückgang bei Kohlestrom ist vor allem auf die zunehmend höheren Kosten für CO₂-Zertifikate zurückzuführen. Statt die fossilen Kraftwerke laufen zu lassen, wurde häufiger preiswerterer Strom aus dem EU-Ausland eingeführt. Damit trägt der europäische Strommarkt bereits beträchtlich zur Flexibilisierung des Stromangebotes bei. 2023 hatte Deutschland erstmals mehr Strom importiert als exportiert. 2024 erhöhte sich der Importüberschuss von 9,2 Terawattstunden auf 24,9 Terawattstunden. Die wichtigsten Importländer waren Frankreich (Saldo 12,9 TWh), Dänemark (12,0 TWh), Schweiz (7,1 TWh) und Norwegen (5,8 TWh). Deutschland exportierte Strom im Saldo nach Österreich (7,4 TWh), Polen (3,5 TWh), Luxemburg (3,5 TWh) und Tschechien (2,8 TWh). Der Import spiegelt keinen Strommangel, sondern die günstigeren Stromproduktionspreise zum jeweiligen Zeitpunkt in den Ländern, wo dann weniger Strom gebraucht wird. Deutschland habe, so das ISE, „im Gegensatz zu seinen Nachbarländern (Österreich, Schweiz, Frankreich) auch im Winter genügend Kraftwerkskapazitäten, um Strom für den Export zu produzieren“.
Was den Börsenstrompreis angeht, war 2024 mit durchschnittlich 7,8 Cent pro Kilowattstunde 15,5 Prozent günstiger als im Vorjahr – und lag auch noch unter dem Börsenpreis des Jahres 2021. Im Jahr 2022 lag er fast das Dreifache darüber. Grund: die durch den Ukrainekrieg ausgelöste Energiekrise und die klima- und wartungsbedingt langen Ausfälle von Atomkraftwerken in Frankreich.