Die Asylzahlen sinken vor der Bundestagswahl – Scholz sei Dank?

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Eigentlich wollte sogar Oppositionsführer Friedrich Merz, dass die Migrationspolitik nicht den Bundestagswahlkampf bestimmt. So sagte es der CDU-Vorsitzende und Kanzlerkandidat der Union jedenfalls noch im Frühherbst und bot der SPD eine gemeinsame Lösungssuche an. Auch die Sozialdemokraten wollen, dass andere Themen im Mittelpunkt stehen, schon allein, weil andernfalls die AfD profitieren könnte, wie bei einigen Landtagswahlen in den vergangenen Monaten.

Ganz aussparen können sie das Thema Migration aber nicht. Und so lobpreisen Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser seit Monaten ihre Migrationspolitik, die zu sinkenden Asylzahlen geführt habe, und verweisen auf Leistungskürzungen für Asylbewerber, stationäre Grenzkontrollen und die Ausweitung des Abschiebegewahrsams. „Ich habe die größte Wende im Umgang mit Migration zustande gebracht in der Geschichte der letzten zehn, zwanzig Jahre“, sagte Scholz im Sommer.

Migrationsforscher verweisen auf externe Faktoren

Dabei lohnt sich ein Blick in die Jahresbilanz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die erst in wenigen Tagen veröffentlicht werden soll, aber deren wichtigste Zahl der „Welt am Sonntag“ schon vorliegt. Die Bundesbehörde hat demnach im vergangenen Jahr etwa 230.000 Asylerstanträge registriert, ein Minus von etwa 30 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Ungewöhnlich ist vor allem, dass die Zahlen in der zweiten Jahreshälfte – anders als üblich – nicht nach oben gegangen sind. Dem Kanzler kommt der neue Asyltrend vor der Bundestagswahl zupass. Aber ist er auch dem Kanzler zu verdanken?

Die Trendwende ist auf den ersten Blick umso erstaunlicher, wenn man sich die weltweiten Fluchtzahlen anschaut. So bilanzierte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR erst vor wenigen Tagen, dass die Zahl der Vertriebenen auf 122 Millionen gestiegen ist, ein Rekord. Wie kann es dann sein, dass von ihnen nun weniger in Deutschland Zuflucht suchen?

Migrationsrechtler Daniel Thym von der Universität Konstanz sagt, die deutsche Debatte drehe sich vor allem „um innerstaatliche Maßnahmen, weshalb viele meinen, der Rückgang liege vor allem an diesen: an Grenzkontrollen, an der Bezahlkarte oder an mehr Abschiebungen“. Die Bezahlkarte für Asylbewerber, auf die Thym Bezug nimmt, und die in Deutschland nach und nach eingeführt wird, geht mit einer Bargeldbeschränkung einher.

Wahlumfragen nehmen Einfluss auf die Politik, schwanken aber oft stark.
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„Tatsächlich kann eine innerstaatliche Härte zum Rückgang beitragen, nur alleine oder maßgeblich verantwortlich ist sie selten“, sagt Thym. Er macht externe Faktoren für den Rückgang der Asylzahlen in Deutschland verantwortlich. So habe Serbien den Weg über die sogenannte Balkanroute erschwert und Italien habe in Zusammenarbeit mit Tunesien die Ankunftszahlen im zentralen Mittelmeer um die Hälfte nach unten gedrückt.

„Auch die künftige Bundesregierung sollte dringend nationale Maßnahmen wie Zurückweisung an den Grenzen ganzheitlich denken“, sagt Thym. „Nachhaltig effektiv werden sie nur, wenn sie mit den Nachbarn abgestimmt sind, und darüber hinaus mit Restriktionen entlang der wichtigsten Migrationsrouten verknüpft werden.“

Faeser will Grenzkontrollen verlängern

Migrationsforscher Franck Düvell von der Universität Osnabrück sieht ebenfalls externe Faktoren, die sich auf Deutschland auswirken. „Viele, die fliehen müssen, sind ja bereits geflohen, so dass die Zahlen von Flüchtlingen aus den Hauptherkunftsländern Syrien, Türkei und Afghanistan nun zurückgehen“, sagt Düvell. Auch er verweist auf Tunesien, das viele Migranten zuvor als Transitland in Richtung Europa durchquert hätten, wo nun aber die dortige Küstenwache irreguläre Ausreisen unterbinde. Zudem habe sich die Sicherheitslage im Transitland Libyen verbessert und auch in der Türkei sei die Zahl der Flüchtlinge rückläufig.

Einen Scholz-Effekt sehen die beiden Migrationsfachleute also nicht. Vielmehr seien es die Entwicklungen andernorts, die Deutschland zugutekämen.

Die Trendwende begünstigen könnte zusätzlich die EU-Reform, die beschlossen ist, aber noch umgesetzt werden muss. Sie sieht vor, dass Migranten mit geringer Aussicht auf Asyl Schnellverfahren an der Außengrenze der Europäischen Union durchlaufen.

Der Union geht das nicht weit genug. Sie fordert in ihrem Bundestagswahlprogramm, dass jeder, der in Europa einen Asylantrag stellt, in einen Drittstaat überführt werden soll, um dann dort ein Verfahren zu durchlaufen. Kanzler Scholz sieht ein solches Modell sehr skeptisch.

Seine Innenministerin Faeser will derweil die Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen, die sie ursprünglich für unnötig erachtet hatte, über diesen März hinaus verlängern. Etwa 1800 Schleuser seien seit Einführung der Maßnahmen festgenommen und etwa 40.000 Personen an den Grenzen zurückgewiesen worden, sagte sie kürzlich. Wobei unklar bleibt, ob jemand, der zurückgewiesen wird, es nicht an einem anderen Tag ins Land schafft.