Wie geht es weiter in Österreich, nachdem die Verhandlungen über eine Koalition jenseits des Wahlsiegers FPÖ gescheitert sind und Karl Nehammer seinen Rückzug als Bundeskanzler und als ÖVP-Vorsitzender angekündigt hat? An diesem Sonntag wollen die Christdemokraten über ihr weiteres Vorgehen beraten. Dazu trifft sich der ÖVP-Parteivorstand ab 10 Uhr – ungewöhnlicherweise im Bundeskanzleramt.
Die eine Frage, auf die die ÖVP eine Antwort finden muss, ist, ob man jetzt doch noch als Juniorpartner in eine Koalition mit der FPÖ unter ihrem Vorsitzenden Herbert Kickl zur Verfügung steht. Ansonsten blieben wohl nur Neuwahlen. Die andere: Wer als Parteivorsitzender auf Nehammer folgt.
Als möglicher Vizekanzler in einer „blau-türkisen“ FPÖ-ÖVP-Regierung gilt der nach außen bislang wenig bekannte Wirtschaftskammerfunktionär Wolfgang Hattmannsdorfer. Er hat einige Jahre mit der FPÖ im Bundesland Oberösterreich regiert. Bekannter sind zwei andere Namen: Die frühere Europaministerin Karoline Edtstadler – und der frühere Parteichef und Kanzler Sebastian Kurz. Edtstadler hatte sich nach der Wahl im September von Nehammer politisch gelöst und erklärt, sich aus der Bundespolitik zurückzuziehen. Doch gilt sie auch als politisch ehrgeizig und hat eine Rückkehr nicht ausgeschlossen.
Kurz, der 2021 wegen einer Inseratenaffäre als Bundeskanzler zurücktreten musste, ist seither geschäftlich tätig. Er hat zwar immer wieder erklärt, er habe mit der Politik abgeschlossen und sei zufriedener Unternehmer. Doch meldete er sich auch immer wieder öffentlich zu Wort. Und er hielt den Kern seines einstigen politischen Zirkels auch in seinem Firmenbüro zusammen: Mitarbeiter, Strategen und politische Mitstreiter wie die früheren Minister Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger.
In der „Kronen-Zeitung“ wurde nun aus dem Umfeld von Sebastian Kurz kolportiert, dass er nicht zur Verfügung stehe. Wobei die Absage nicht ohne Einschränkung ist. Erstens heißt es: „Vorerst“. Und zweitens heißt es: „nicht als Vizekanzler unter Herbert Kickl“. Als Parteivorsitzender die ÖVP in Neuwahlen zu führen, wäre mit diesen Worten für Kurz keineswegs ausgeschlossen.
Das wären wohl Kurz’ Bedingungen
Allerdings konnte man, wenn man sich in seinem Umfeld umhörte, schon früher schließen, dass Kurz nur dann zu einem Comeback bereit wäre, wenn die eigene Partei ihn nachdrücklich und geschlossen darum bitten würde und ihm wie schon 2017 wieder vollkommen freie Hand für Richtung und Personal gäbe. Dass immer noch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ihn im Gang sind, wird als weniger hinderlich angesehen. Erstens können die sich noch lange hinziehen. Und zweitens zeigt ein Blick in die Vereinigten Staaten und das Beispiel Donald Trump, dass das einem Wahlsieg nicht entgegenstehen muss.
Was die Regierung betrifft, liegt das Heft des Handelns aber vorerst in der Hand des Staatsoberhaupts. Es wird erwartet, dass sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen noch an diesem Sonntag äußert. Er könnte statt Nehammer ein anderes Mitglied der bisherigen Regierung bitten, geschäftsführend als Bundeskanzler zur Verfügung zu stehen. Oder Van der Bellen könnte vorübergehend eine Beamtenregierung ernennen, wie er es 2019 nach der Ibiza-Affäre schon einmal getan hat.
Knapp 100 Tage nach der Nationalratswahl hatten sich zuvor die Ereignisse überschlagen. Weil mit dem Wahlsieger, FPÖ-Chef Herbert Kickl, niemand eine Koalition eingehen wollte, hatte Van der Bellen im November 2024 den Auftrag zur Regierungsbildung an Nehammer vergeben. Klar war, dass Nehammer neue Partner braucht. Denn seine bisherige Koalition aus ÖVP und Grünen ist nicht nur tief zerstritten, sondern hat auch keine Mehrheit mehr. Nehammer verhandelte mit den Sozialdemokraten (SPÖ) und den liberalen Neos. Doch nach zähen Verhandlungen ohne viel greifbare Ergebnisse sind am Freitag zunächst die Neos ausgestiegen. Am Samstag wurde klar, dass auch ohne Neos die Parteien der einstigen „großen“ Koalition ÖVP und SPÖ nicht zusammenfinden. Ohnehin wäre ihre Mehrheit nur äußerst knapp gewesen, 92 von 183 Abgeordneten im Nationalrat. Nehammer gestand sein Scheitern ein und kündigte am Samstagabend seinen Rückzug an.