Harris muss im Kongress ihre eigene Niederlage beglaubigen

21

Wenn die beiden Kongresskammern am Montag im streng gesicherten Kapitol in Washington zu ihrer gemeinsamen Sitzung zusammenkommen, könnte der Kontrast zum 6. Januar 2021 nicht größer sein. Die scheidende Vizepräsidentin Kamala Harris wird in ihrer Rolle als Vorsitzende des Senats die Zertifizierungssitzung leiten, in der die Stimmen der Wahlleute aus den Bundesstaaten gezählt und der Sieg Donald Trumps in der Präsidentenwahl vom 5. November beglaubigt wird. Einsprüche werden nicht erwartet.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Präsidentschaftskandidat seine eigene Niederlage zertifizieren muss. Viermal haben Vizepräsidenten, die selbst ins Weiße Haus strebten, den Wahlsieg ihres Gegenkandidaten beglaubigt, darunter Richard Nixon, der 1961 den knappen Erfolg John F. Kennedys bestätigte, und Al Gore, der 2001 den Sieg George W. Bushs feststellte, nachdem der Supreme Court dem Republikaner faktisch die Wahlleute Floridas zugesprochen hatte. Dessen Vater, George H. W. Bush, konnte übrigens 1989 als Vizepräsident seinen eigenen Sieg über Michael Dukakis beglaubigen.

Die Umstände, unter denen Harris am Montag ihren Amtspflichten nachkommen wird, sind gleichwohl besondere: Die Demokratin hat den Republikaner eine „Bedrohung für die Demokratie in Amerika“ genannt und gesagt, er dürfe niemals wieder hinter dem Siegel des Präsidenten der Vereinigten Staaten stehen. Harris, die nach dem Wahltag ihre Niederlage eingestand, wird dennoch den Holzhammer auf den Präsidiumstisch des Repräsentantenhauses schlagen, wenn die Stimmen gezählt sind. Sie will so deutlich machen, wie sich demokratische Machtwechsel zu vollziehen haben.

Vor vier Jahren stürmte der Mob das Kapitol

Vor vier Jahren war Harris, die seinerzeit scheidende Senatorin aus Kalifornien und gewählte Vizepräsidentin, am frühen Morgen kurz im Kongress. Während des Sturms auf das Kapitol durch einen gewalttätigen Mob von Trump-Anhängern nahm sie indes nicht an der Sitzung teil. Als ihr Vorgänger, Trumps Vizepräsident Mike Pence, vom Secret Service in Sicherheit gebracht werden musste, während im Senat gerade der Einspruch gegen den Wahlsieg Joe Bidens in Arizona behandelt wurde, saß sie nicht in den Reihen ihrer Fraktion. Sie kehrte erst nach der Unterbrechung der Zertifizierungssitzung in den Kongress zurück.

Am 20. Januar wird Trump, der vor vier Jahren auf einer Kundgebung hinter dem Weißen Haus seine Anhänger aufgefordert hatte, „friedlich“ zum Kapitol zu ziehen, um „wie der Teufel zu kämpfen“, vor dem Kongressgebäude seinen Amtseid ablegen. Der Republikaner sieht darin einen symbolischen Triumph. 2021 galt er als politisch erledigt. Heute, da er als zweiter Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten für zwei nicht aufeinander folgende Amtszeiten gewählt worden ist, nennt er den seinerzeitigen 6. Januar einen „Tag der Liebe“ und die zu Haftstrafen verurteilten Randalierer von einst „Geiseln“, deren Begnadigung er prüfen will. Dass ihm 2020 der Wahlsieg „gestohlen“ wurde, behauptet er immer noch. Auch dass Biden ihm die Justiz auf den Hals gejagt habe. Große Teile seiner Wählerschaft sahen es auch so. Andere waren bereit, den Tag einfach zu vergessen.

Knappe Mehrheit, aufgeheizte Stimmung

Wie sehr der Sturm auf das Kapitol das Land immer noch spaltet, wurde am Freitag sichtbar. Als Hakeem Jeffries, der Minderheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, in seiner Rede zur Konstituierung der Kammer den Wahlsieg Trumps vor zwei Monaten erwähnte, brach in den Reihen der Republikaner Gejohle aus. Ironisch bemerkte Jeffries: „Vielen Dank für den großzügigen Applaus.“ Sodann: Das sei okay. „Auf unserer Seite des Plenarsaals gibt es keine Wahlleugner.“ Es gelte, Amerika zu lieben, ganz gleich, ob man gewonnen oder verloren habe. Dann überreichte er den hölzernen Hammer des „Speaker“ an Mike Johnson, den Abgeordneten aus Louisiana. Dieser war soeben in seinem Sprecheramt bestätigt worden – zur Überraschung vieler schon im ersten Wahlgang, doch erst nach einer Intervention Trumps, der zwei Abweichler während der Abstimmung angerufen und auf Linie gebracht hatte.

Johnson, im Oktober 2023 nach dem Sturz Kevin McCarthys und Wochen des Machtvakuums im Kongress erstmals in das dritthöchste Staatsamt gewählt, konnte am Freitag kurz durchatmen. Mehrfach hatte er bereits den Zorn jener Leute vom Rechtsaußen-Flügel seiner Fraktion auf sich gezogen, die schon die Abwahl McCarthys betrieben hatten. Einige Male bekam er – zum Teil gönnerhafte – Schützenhilfe von Trump. Seine Abhängigkeit vom künftigen Präsidenten und die knappen Mehrheitsverhältnisse in der ersten Kammer werden Johnson die Arbeit erschweren.

Die Mehrheit in der ersten Kongresskammer ist die knappste seit 100 Jahren. Die Republikaner haben in den Kongresswahlen 220 Abgeordnetenmandate erhalten, die Demokraten 215. Da Matt Gaetz, Trumps kurzeitiger Kandidat für das Amt des Justizministers, sein Mandat nicht antritt, waren es am Freitag nur noch 219. Hinzu kommt, dass die Abgeordneten Elise Stefanik und Mike Waltz in Regierung eintreten werden – Stefanik muss anders als Waltz, den Trump zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt hat, als künftige UN-Botschafterin vom Senat bestätigt werden. Dann schrumpft die Mehrheit zwischenzeitlich auf 217 zu 215. Die Nachwahlen in den drei Bezirken ziehen sich bis in den April. Bis dahin kann Johnson keine Stimme in den eigenen Reihen verlieren, wenn Jeffries seine Fraktion zusammenhält.

Trump will ein XXL-Gesetzespaket

Eine erste Herausforderung offenbarte Johnson am Samstag seiner Fraktion in einer Klausursitzung in Washington. Trump wolle, so der wiedergewählte Speaker, seine Reformprojekte in ein einzelnes großes Gesetzespaket packen. Es soll Mittel für die Grenz- und Einwanderungspolitik enthalten, mit der man die Migrationskrise beenden möchte. Zudem sollen in der Energiepolitik viele Beschlüsse der Biden-Regierung abgewickelt und wieder ein Schwerpunkt auf fossile Energieträger gelegt werden. Schließlich geht es darum, Trumps Steuerreform von 2017 zu verlängern, die andernfalls Ende des Jahres ausliefe.

Die von Trump gewünschte Vorgehensweise ist unter Republikanern umstritten. John Thune, Mehrheitsführer im Senat, hatte vorher dafür plädiert, die Steuerpolitik in einem separaten Gesetz zu verabschieden. So ließe sich die Reform der Grenzpolitik schnell auf den Weg zu bringen. Um die Sperrminorität der Demokraten im Senat zu umgehen, soll das sogenannte „Reconcilation“-Verfahren gewählt werden. Dabei handelt es sich um Entwürfe, die Staatseinnahmen und -ausgaben bei der Haushaltsplanung in Einklang bringen und die mit 51 Stimmen – und nicht mit 60 – ins Plenum eingebracht werden können. Die Demokraten hatten als Mehrheitsfraktion in der 100 Mitglieder umfassenden zweiten Kammer mehrfach von der Umgehung der Minderheitenrechte Gebrauch gemacht, was die Republikaner kritisierten. Nun werden sie selbst zu dem Mittel greifen.

Widerstand könnte es trotzdem geben, nicht zuletzt in der Finanzpolitik. In den eigenen Reihen nämlich, vor allem im Repräsentantenhaus. Johnson steht vor der Herausforderung, Trumps Steuersenkungen zu verlängern, Ausgaben zu kürzen und die Schuldenobergrenze zu heben. Wieder droht Ärger mit dem Rechtsaußen-Flügel vom Freedom Caucus. Senator Lindsey Graham warnte denn auch schon, er wolle zwar auch die Steuersenkungen verlängern. Priorität habe aber die Grenzpolitik. Wer diese zur Geisel der Steuersenkungen mache, spiele russisches Roulette mit der nationalen Sicherheit.