Nach einem Umbau der Produktion und einer Umschuldung gibt Tjeerd Jegen die Führung beim Fahrradkonzern Accell nach eineinhalb Jahren im Amt ab. Ihm folgt Anfang April, wenn die Schuldensanierung voraussichtlich formal abgeschlossen ist, Jonas Nilsson, momentan im Vorstand noch als Operativer Leiter (Chief Operating Officer, COO) tätig. Jegen soll im weiteren Jahresverlauf in den Aufsichtsrat wechseln und dort den Vorsitz von Annemarie Jorritsma übernehmen, einer früheren Ministerin der rechtsliberalen Partei VVD.
Jegen war im November 2023 vom deutschen Modehänder Takko zu Accell gewechselt, zuvor hatte er sechs Jahre lang die niederländische Einzelhandelskette Hema geleitet. Accell steht als Dachkonzern hinter Batavus, Sparta, Babboe, Winora und anderen Marken – als zweites großes Markenkonglomerat neben dem europäischen Marktführer Pon (Gazelle, Kalkhoff, Focus), der ebenfalls in den Niederlanden sitzt. Das Unternehmen war im Jahr vor Jegens Antritt vom US-Finanzinvestor KKR und dem niederländischen Investor Teslin erworben worden; das Duo nahm Unternehmen schnell von der Börse.
Abwanderung nach Ungarn und in die Türkei
Unter den neuen Eignern sollte Jegen die Geschäfte der verschiedenen Marken stärker miteinander verzahnen. Pläne dafür waren dem Vernehmen schon unter dem Vorgängermanagement ausgearbeitet. Weniger als einen Monat nach dem Amtsantritt setzte Jegen das erste Zeichen: Beschäftigte der deutschen Ghost im bayerischen Waldsassen erfuhren, dass die Fertigung an bestehende billigere Standorte in Ungarn und der Türkei abwandern würde. Wenig später kam der Stammsitz im nordniederländischen Heerenveen an die Reihe: Die zwei dortigen Fabriken wurden verschmolzen. Die Produktion von Massenfahrrädern ging ebenfalls nach Ungarn und in die Türkei. Heerenveen – Wiege der über hundert Jahre alten Marke Batavus – bedient fortan das teurere Segment, während Standardräder der urniederländischen Marke nun aus dem Ausland kommen.
Accell litt unter vollen Lägern als Folge der Branchenflaute nach dem Ende der Corona-Pandemie. Dazu kamen hohe Kosten für einen Rückruf von Lastenrädern der Marke Babboe. 2023 sank der Umsatz um ein Zehntel auf 1,3 Milliarden Euro; unterm Strich fielen 390 Millionen Euro Verlust an, maßgeblich wegen Einmalbelastungen aufgrund der Lagerbestände, Umbaukosten und der Babboe-Rückrufaktion.
Im Juni bezeichnete Jegen die Schuldenlast als nicht tragbar, Anfang Oktober kündigte er im F.A.Z.-Gespräch dann ein Sanierungspaket an, das drei Elemente umfasst: niedrigere Schulden, frisches Kapital und ein lockerer Zeitplan für Zinszahlungen. In den Verhandlungen darüber wird der Manager zweifelsohne von entsprechenden Erfahrungen profitiert haben, die er als Hema -Vorstandsvorsitzender gesammelt hatte.