Die Zeit, um die israelischen Geiseln im Gazastreifen freizubekommen, drängt immer stärker. Das zeigte sich erst am Montag wieder, als Israels Armee den Tod von Omer Neutra bekannt gab. Der Soldat war während des Überfalls der Hamas am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden. Wie die Armee nun mitteilte, wurde er ihren Erkenntnissen zufolge schon an jenem Tag getötet, im Alter von 21 Jahren. Sein Leichnam befindet sich nach wie vor im Gazastreifen.
101 Geiseln gibt es laut offiziellen israelischen Angaben dort bis heute. Dabei ist unklar, wie viele von ihnen noch am Leben sind – wohl etwa die Hälfte, heißt es vonseiten der Sicherheitsbehörden. Über viele der Entführten habe man aber keine neueren Erkenntnisse mehr. Auch aus diesem Grund werben manche dafür, rasch eine Waffenruhe mit der Hamas zu vereinbaren: Je stärker die israelische Armee die Strukturen der Hamas im Gazastreifen zerschlage, desto weniger könne diese wissen und beeinflussen, wo und in welchem Zustand die Geiseln sich befinden. Von diesem Argument weiß auch die Hamas. In einem Video behauptete sie jetzt, 33 Entführte seien im Kriegsverlauf getötet worden, und andere seien nicht mehr auffindbar. Eine Fortsetzung des Krieges gefährde auch die verbliebenen lebenden Geiseln.
Hoffen auf Trump
Neutras Eltern Orna and Ronen hatten sich öffentlich stark für ihn und die anderen Geiseln eingesetzt – vor allem in den Vereinigten Staaten, von wo er als Teenager nach Israel ausgewandert war. Noch am Sonntag waren sie auf einer Kundgebung in New York aufgetreten. Sie riefen Präsident Joe Biden und dessen Nachfolger Donald Trump dazu auf, gemeinsam daran zu arbeiten, dass noch vor Trumps Amtsantritt im Januar ein Deal zustande komme. Auch in einem von der Hamas am Samstag veröffentlichten Propagandavideo appellierte die amerikanisch-israelische Geisel Edan Alexander an Trump, sich dafür einzusetzen, dass er freikommt.
Trump reagierte am Montagabend auf die Aufrufe. In einem Eintrag auf seiner Internet-Plattform Truth Social schrieb er, alle sprächen von den Geiseln, aber niemand tue etwas. Sodann drohte Trump: Sollten die Geiseln nicht vor seinem Amtsantritt am 20. Januar freigelassen worden sein, werde er den Verantwortlichen „die Hölle heißmachen“. Ihnen würden härtere Schläge versetzt als irgendjemandem sonst in der Geschichte der USA. Der Journalist Barak Ravid hatte im Portal Axios kürzlich berichtet, Trump habe überrascht gewirkt, als Herzog ihm Anfang November in einem Telefonat gesagt habe, dass etwa die Hälfte der Geiseln noch am Leben sein könnte. Das habe er nicht gewusst, soll Trump geantwortet haben.
Manche hoffen, dass Trump auch stärker als Biden dazu in der Lage sein wird, Druck auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu auszuüben. Nach der – brüchigen – Waffenruhe zwischen Israel und der Hizbullah mehren sich die Berichte, in denen von leichten Fortschritten in den Gesprächen und Verhandlungen über eine ähnliche Vereinbarung mit der Hamas die Rede ist. So gaben ägyptische Vermittler sich laut arabischen Medienberichten zuletzt zuversichtlich: Beide Seiten zeigten Kompromissbereitschaft.
Netanjahu steht von rechts unter Druck
Auch in israelischen Medien werden Einschätzungen geäußert, wonach die Hamas stärker als zuvor gewillt sei, eine Vereinbarung abzuschließen. Die islamistische Organisation sei militärisch inzwischen stark geschwächt, und der Wegfall der „Unterstützungsfront“ an der israelisch-libanesischen Grenze habe ihre Position weiter verschlechtert. Die militärische Führung in Israel sehe aus diesen Gründen eine „Gelegenheit“ und dränge dazu, diese zu nutzen. Präsident Izchak Herzog sagte am Sonntag, dass „hinter den Kulissen Verhandlungen laufen“. Eine Vereinbarung sei erreichbar, beteuerte er, jetzt gebe es eine Gelegenheit, die Geiseln freizubekommen.
Netanjahu hat indes immer wieder klargestellt, dass er nur eine vorübergehende Waffenruhe eingehen will – was der Kernforderung der Hamas zuwiderläuft. Dabei steht er auch unter dem Druck seiner ultrarechten Koalitionspartner. Die werben unbeirrt für eine dauerhafte israelische Kontrolle über den Gazastreifen, inklusive jüdischer Siedlungen. So äußerte Finanz- und Siedlerminister Bezalel Smotrich in der vergangenen Woche, der Gazastreifen könne und sollte wiederbesetzt werden.
Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sagte am Sonntag im Radio, Siedlungen zu bauen, sei nicht genug: Die lokale Bevölkerung müsse auch „zur Auswanderung ermuntert“ werden. Aufseiten Netanjahus sehe er inzwischen eine „gewisse Offenheit“ für das Thema, behauptete Ben-Gvir. Dieser betonte auch, dass er einen Geiseldeal ablehne. Die Familie des entführten Edan Alexander kritisierte ihn daraufhin scharf. Ben-Gvir habe offenbar „unsere grundlegenden Werte“ vergessen, sagte Alexanders Adoptivvater.