Kolumne „Gesundheitsmythen“: Wie gesund sind Haferflocken?

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Es heißt, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, und damit hat Hermann Hesse sicherlich auch die Diät zum Jahresanfang gemeint. Hoch motiviert, wenn auch leicht verkatert, hat man am Neujahrstag, nach der letzten Plätzchenorgie, auf dem Sofa beschlossen: Ab jetzt ernährt man sich gesund!

Doch schon beim ersten Supermarktbesuch mit der neuen Mission ist der Zauber ins Schlingern geraten: Was darf man jetzt überhaupt noch essen? Gut, bei Tiefkühlpizza und Fertigtiramisu ist das Urteil leider eindeutig, doch was soll beim Frühstück auf den Tisch kommen? Eier wurden wegen Cholesterin gecancelt, Toastbrot wegen Zucker.

Nun sind auch die Haferflocken, einst Grundausstattung der Reformhaus-Familien, ins Kreuzfeuer der Gesundheitsexperten geraten. Dabei sollten die doch besonders gut fürs Herz sein! Wie gesund sind Haferflocken, ob in Müsli oder Porridge, also wirklich?

Mehr Kalorien als Tiefkühlpizza

Die Hasskampagne gegen die Haferflocken läuft vor allem auf den sozialen Medien. Hauptkritikpunkte in Tausenden Filmchen: Haferflocken machen dick, sie haben kaum Nährstoffe – und entziehen dem Körper sogar noch Mineralien. „Früher hat man mit Haferbrei die einfachen Arbeiter schwach gehalten!“, brüllt ein Typ mit schief sitzender gelber Sonnenbrille einem entgegen.

Was sagt die Wissenschaft dazu? Kämpft man sich durch die Studien zu den Haferflocken, was deutlich weniger unterhaltsam ist als die Tiktok-Videos, wird klar: Solide Evidenz findet sich nur schwer. Die meisten Versuche, was im Körper geschieht, wenn man regelmäßig Haferbrei löffelt, hatten nur wenige Teilnehmer. Oder die Forscher haben nur einzelne Inhaltsstoffe vom Hafer im Labor untersucht. Und finanziert werden die Studien oft von Haferflockenherstellern. Ist also alles nur Hafer-Propaganda? Keineswegs.

Hier sind die kernigen Fakten: Haferflocken liefern tatsächlich viele wichtige Nährstoffe und Vitamine. Zum Beispiel Vitamin B1 alias Thiamin. Dieses „Gute Laune“-Vitamin braucht man für den Energiestoffwechsel und damit die Nervenzellen gut funktionieren. In Hafer stecken auch Eisen – Haferbrei ist die gebratene Kalbsleber der Vegetarier! – und andere Mineralien. Wie Mangan. Das klingt nach Stahlindustrie, wird aber auch für gesunde Knochen gebraucht.

Das Besondere an Haferflocken ist, sozusagen ihr Unique Selling Point, dass sie enorm viele Ballaststoffe enthalten, vor allem die sogenannten Beta-Glucane. Die quellen bei Kontakt mit Flüssigkeit auf und sorgen für die Schleimigkeit im Haferschleim. Die Haferpampe wandert deswegen langsam durch den Verdauungstrakt, die Energie wird nur gemächlich absorbiert, und man ist lange satt.

Haferflocken haben also tatsächlich viele Kalorien (auf 100 Gramm sogar mehr als eine Tiefkühlpizza!), doch die stecken vor allem in gesunden ungesättigten Fetten und langkettigen Kohlenhydraten. Im Darm angekommen, machen Haferflocken durch ihre Ballaststoffe auch die guten Darmbakterien glücklich, und die wiederum steuern unsere Gesundheit.

Hafer kann den Cholesterinspiegel senken

Ballaststoffe sind echte Gesundheitswundermittel. Wer viel davon verdrückt, lebt länger, hat seltener Darmkrebs und scheint auch ein Stück weit vor Herzkrankheiten geschützt.

In den USA verkündet darum auf der Packung von Instant-Haferbrei ein Sticker: Gesund fürs Herz. Bei der Frage, wie groß die Macht der Haferflocken über das Herz wirklich ist, kommen Forscher allerdings immer wieder zu widersprüchlichen Ergebnissen. So verbessert Haferbrei den Blutdruck, wenn überhaupt, nur sehr geringfügig.

Immerhin: Beta-Glucane aus den Haferflocken können den Cholesterinspiegel reduzieren. Das zeigte 2014 eine Auswertung aller Experimente. Eine zünftige Portion von 80 Gramm zum Frühstück könnte demnach den Blutwert für schlechtes Cholesterin um 0,25 mmol/l senken, was einer Reduktion von rund fünf Prozent entspräche. Vermutlich, weil Beta-Glucane Gallensäuren binden und der Körper dann neue aus Cholesterin herstellt.

Glatte Fake News aus den sozialen Medien sind die Behauptung, Haferflocken würden dem Körper Nährstoffe rauben. Angeklagter ist hier die Phytinsäure. Diese hilft Pflanzen, Nährstoffe zu speichern. In unserem Verdauungstrakt macht sie es etwas schwerer, Mineralien aus der Nahrung zu absorbieren. Zumindest theoretisch. Denn in der Praxis, wo man viele unterschiedliche Lebensmittel zu sich nimmt mit verschiedenen Nährstoffen, scheint das keine Probleme zu machen. Zudem enthält Hafer nicht mehr Phytinsäure als Erbsen oder Vollkornreis und sogar weniger als Mais oder Mandeln.

Es gibt außerdem einen schmackhaften Trick: Kocht man Haferflocken oder lässt sie ein paar Stunden in Wasser oder Milch ziehen, wird ein Enzym aktiv, das die Phytinsäure abbaut. Solche „Overnight Oats“ werden gerne in hippen Großstadtcafés serviert und sind ziemlich lecker. Glücklicherweise schmecken die Oats auch mit Erdnussbutter und Schokostücken vorzüglich, sodass die Haferflocken auch im Speiseplan bleiben können, wenn der Rest der Gesundheitsvorsätze begraben wurde.

Fazit: Haferflocken gehen als „gesund“ durch! Ein Tipp für den nächsten Einkauf: Immer wieder finden Ökowarentester Spuren von Schimmelpilzen und Pestiziden wie Glyphosat in Haferflocken, was nicht sonderlich gesundheitsförderlich klingt. Haferflocken aus Bioanbau schneiden dabei im Durchschnitt besser ab.