Tusks Ansage an Orbán und den Westen

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Donald Tusk lässt keinen Zweifel daran, dass er Europa in einer „dramatischen Situation“, ja an einem Kipppunkt sieht. „Wenn Europa machtlos ist, wird es nicht überleben“, sagte er Anfang des Jahres im Großen Theater in Warschau bei der Eröffnungsfeier der EU-Ratspräsidentschaft, die Polen bis zum Juni übernimmt.

Wenn Europa dagegen die Quellen seiner Stärke wiederentdecke, werde es wieder sein, „worauf wir seit Jahrhunderten – so oft – und in den letzten Jahren stolz sind“, so der polnische Ministerpräsident. Er ist fest entschlossen, den polnischen Vorsitz des Rats der Europäischen Union, in dem die Fachminister der 27 EU-Länder tagen und gemeinsam mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament die Geschicke der Union bestimmen, zu nutzen, um das für ihn derzeit wichtigste Thema Europas in den Vordergrund zu stellen: Sicherheit.

Auch „Vernünftige“ müssten Migration begrenzen

Letztere sah Tusk zuletzt grob durch Polens einstigen Verbündeten Ungarn verletzt, das im vergangenen Halbjahr die Ratspräsidentschaft innehatte und dessen Regierungschef Viktor Orbán nicht nur offen mit Putin sympathisiert, sondern auch in Europa mit autoritären, korrupten, die Gewaltenteilung schleifenden Parteien und Politikern Kumpanei betreibt.

Erst im Dezember gewährte Orbán dem einstigen Vizejustizminister Polens, Marcin Romanowski, politisches Asyl, obwohl der Mann mit europä­ischem Haftbefehl gesucht wird, weil er rund 40 Millionen Euro Staatsgeld illegal zur Finanzierung der damals regierenden PiS und ihrer Verbündeten abgezweigt haben soll. Orbán dagegen will auch in Ungarn den Zugriff der Politik auf die Justiz nach PiS-Vorbild.

Tusk wiederum sieht nicht nur solches Gebaren als große Gefahr für die Freiheit Europas an, sondern auch die Leichtfertigkeit, mit der vor allem eta­blierte Parteien insbesondere in „älteren“ EU-Ländern wichtige Themen ignorieren. Immer wieder appelliert er, dass etwa Migration oder Verteidigung, die ­viele Menschen in der EU umtreiben, „von vernünftigen Parteien“ angegangen und nicht durch Nichtstun zweifelhaften Politikern überlassen werden dürfen.

Das Motto lautet: „Sicherheit, Europa!“

Doch auch bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen im vergangenen Sommer in Warschau war Bundeskanzler Olaf Scholz, von Tusk explizit auf das Thema angesprochen, nicht darauf eingegangen. So handelte der polnische Regierungschef mit Verbündeten wie den baltischen und skandinavischen Ländern selbst und befestigt wie diese seine Ostgrenzen oder plant, wie Finnland das Asylrecht teilweise auszusetzen.

Unter dem Motto „Sicherheit, Europa!“ stellt Polen nun für die Zeit seiner Ratspräsidentschaft explizit sieben Sicherheitsaspekte in den Vordergrund. Vier davon betreffen das Verhältnis der EU nach außen: Verteidigung, Sicherung der EU-Außengrenzen, Bekämpfung von Desinformation und Sicherung der Energieversorgung nach dem Ende der russischen Lieferungen.

Schon lange betont Tusk, dass die EU mehr für ihre eigene Verteidigung sowie zur Abwehr hybrider Angriffe, mit denen Moskau nahezu alle EU-Länder bereits attackiert, tun muss, und er intensivierte diese Forderungen abermals nach dem Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA. Bereits 2014, nach dem russischen Überfall auf die Krim, hatte Polen vehement auf die Gefahr durch Putin verwiesen, war jedoch mit Ausnahme osteuropäischer Staaten, die ebenfalls warnten, auf taube Ohren gestoßen.

Polen warnte früh vor Russland-Abhängigkeit

Bereits 2009 hatte Polen auch mit dem Bau eines Flüssiggasterminals in Swinemünde (świnoujście) begonnen, das mit Lieferungen vor allem aus den USA, Qatar und Nigeria inzwischen mehr als ein Drittel des polnischen Bedarfs deckt. Den „Rest“ liefert Norwegen über die via Dänemark verlaufende Gasleitung Baltic Pipe, sodass Polen bereits seit mehreren Jahren unabhängig von russischem Gas ist.

Polen hat früher als andere, insbesondere Deutschland, verstanden, dass Putin Öl und Gas als Waffe einsetzt, indem er mit niedrigen Preisen Abhängigkeiten schafft und sich zugleich Einnahmen sichert, die der Finanzierung seiner Kriegsmaschinerie dienen. Auch deshalb drängt Polen nun darauf, die Ostgrenze, die zugleich EU-Außengrenze ist, zu sichern.

Weil jedoch auch hier bisher europäische Unterstützung ausbleibt, hat Warschau nun damit begonnen, die Grenze zu Belarus sowie zur russischen Exklave Kaliningrad unter dem Motto „Schutzschild Ost“ massiv auszubauen.

Wettbewerb als Voraussetzung für Sicherheit

Nach innen betont Polen wiederum drei für die Sicherheit der EU wesentliche Aspekte: die Sicherung und Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung vor allem durch Abbau von Regulierung und Bürokratie, eine wettbewerbs- und widerstandsfähige Landwirtschaft sowie eine bessere Gesundheitsversorgung ins­­besondere junger Menschen in der EU.

Besonderen Wert legt Polen darauf, dass der Weg zur Klimaneutralität, welche die EU bis 2050 erreichen will, nicht zur Deindustrialisierung und damit zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit führt. Und nicht zuletzt ist Warschau auch ein Befürworter des Beitritts der Westbalkanländer, Moldaus und der Ukra­ine zur EU.

Donald Tusk gibt sich entschlossen, die Chance der EU-Ratspräsidentschaft wirksam zu nutzen. „Mir liegt sehr daran, dass Polen der Staat sein wird, der nicht nur die ganze Zeit dabei ist, sondern den Ton angibt bei den Entscheidungen, die uns Sicherheit bringen und unsere Interessen sichern sollen.“

Das Signal wurde gehört, wenn man den Worten des Präsidenten des Europäischen Rates, dem Portugiesen António Costa, glauben darf, der bei der Eröffnungsfeier in Warschau Polen lobte als „Quelle der Widerstandsfähigkeit und Stärke in einer Zeit, in der Autoritarismus und Populismus eine zunehmende Bedrohung für unsere Werte darstellen“.