Drohende EU-Strafen: Autoindustrie im Klimakorsett

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Berlin steht geschlossen zur Autoindustrie. Selbst der grüne Kanzlerkandidat Robert Ha­beck warnt, den kriselnden Herstellern nicht auch noch Strafen für das Verfehlen ihrer CO₂-Grenzwerte aufzubrummen. Wegen der zu Jahresbeginn verschärften Grenzwerte für Neuwagen drohten Zahlungen von bis zu 15 Milliarden Euro, warnt der EU-Verband ACEA seit Monaten.

Die drohenden Strafen treffen die Branche zur Unzeit. Sie steht wegen der hohen Energiepreise unter Druck und muss investieren, um den – zum beträchtlichen Teil selbst verschuldeten – Rückstand in der Elektromobilität gegenüber China aufzuholen.

CO₂-Ausstoßziele lassen Industrie zu wenig Luft zum Atmen

Nun rächt es sich, dass die EU die Autoindustrie mit den aufs Gramm genauen CO₂-Ausstoßzielen in ein enges Korsett gesteckt hat. Das lässt ihr zu wenig Luft zum Atmen, obwohl sich nicht nur die geopolitische Situation drastisch verändert hat. Es ist Ergebnis einer seit Jahren verfehlten EU-Klimapolitik, die auf kleinteilige Vorgaben statt CO₂-Preise setzt.

Die Europäische Kommission aber denkt nicht daran, Strafen zu erlassen oder auch nur zu stunden. Sie glaubt, gute Gründe zu haben.

Die Autobranche weiß seit sieben Jahren, dass sich die Ziele 2025 verschärfen. Sie hatte viel Zeit, sich vorzubereiten. ACEA arbeitet zudem mit übertriebenen Zahlen. Die 15 Milliarden Euro basieren auf der Annahme, dass alles bleibt wie 2024. Das ist unrealistisch. Auch ansonsten hat die Autoindustrie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Vor der Verschärfung der Grenzwerte 2021 schimpften die Hersteller genauso über unrealistische Ziele und drohende Strafen. Dann stieg der Anteil von Elektroautos von zwei Prozent 2019 auf zehn Prozent. Nur Volkswagen musste mit 100 Millionen Euro – ein Prozent des Gewinns – eine Strafe zahlen.

Das beste Argument der Kommission aber ist die Verlässlichkeit. Was ist ein Gesetz wert, das ausgesetzt wird, sobald die vorgesehenen Strafen greifen? Die von der Industrie so hochgehaltene Planungssicherheit wä­­re dahin. Unternehmen, die genug getan und investiert haben, um die Ziele zu erreichen, würden bestraft. Der Wettbewerb würde zu ihren Ungunsten verzerrt. Im Streit um die Flottengrenzwerte träfe das BMW und den Stellantis-Konzern, zu dem Fiat, Citroën, Peugeot und Opel gehören.

Die Marktsituation, auf die sich der Gesetzgeber einst gestützt hat, gibt es nicht

Die Autobranche hält nicht zu Unrecht entgegen, dass Planungssicherheit nur um der Planungssicherheit willen kein Wert ist. Die Ziele erscheinen dieses Mal tatsächlich zu ehrgeizig: Der Anteil von Elektroautos am Verkauf müsste sich von 14 Prozent beinahe verdoppeln. Die Kaufzurückhaltung ist jedoch eher gestiegen. Die Ladeinfrastruktur ist ungenügend, und die Wettbewerbs­lage hat sich stark geändert. Kurz: Die Marktsituation, auf die sich der Gesetzgeber einst bei der Festlegung der Ziele gestützt hat, gibt es nicht.

Das ist das Problem, wenn man glaubt, Klimaschutz detailliert planen zu können, und damit jede Flexibilität aus dem System nimmt. Es lässt sich eben nicht am Reißbrett entwerfen, wie sich die Nachfrage nach Elektroautos oder Wärmepumpen entwickelt. „Lösen“ lässt sich das dann entweder durch Zwang und Strafen, die wie im aktuellen Fall zum Teil den Falschen treffen. Oder indem die Nachfrage mit teuren Kaufanreizen und anderen Hilfen künstlich geschaffen wird.

Der größte Fehler wäre, die kleinteilige Klimapolitik nun um kleinteilige Industriepolitik à la China zur Begleitung der Verkehrswende zu ergänzen. Der von Kommissionsprä­sidentin Ursula von der Leyen einberufene Arbeitskreis zur Autoindustrie ist genau das. Die Lösung für die Fehler der Klimaplanwirtschaft ist nicht noch mehr Planwirtschaft.

Mit der Aussetzung von Klimastrafen ist es aber auch nicht getan. Die EU-Kommission muss den gesamten Green Deal – nicht die übergeordneten Klimaziele wohlgemerkt – infrage stellen. Sie muss endlich voll auf den Emissionshandel setzen und damit auf die Bepreisung des Ausstoßes von der Industrie bis zum Heizen und Verkehr. Das schafft Flexibilität. Wer wo wie den Ausstoß reduziert, muss der einzelne Akteur entscheiden. Im Verkehr heißt das etwa: Er kann ein Elektroauto kaufen oder weniger fahren oder auf klimafreundliche E-Fuels für seinen Verbrenner setzen. Die Industrie muss „nur“ die richtigen Angebote machen.

Das erfordert von der Politik Mut. Mit den steigenden Gesamtklimazielen der EU werden die Preise – auch fürs Heizen und für Sprit – künftig weiter stark steigen. Auch das wird für Protest sorgen. Dem darf die Politik dann nicht nachgeben. Sonst ist jede Planbarkeit dahin. Es kann sich kein belastbarer CO₂-Preis bilden.

Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die EU-Klimaziele nur gelten, wenn sie nicht weh tun.