Bayrou kommt den Sozialisten entgegen

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Die französische Regierung will die umstrittene Rentenreform vom Frühjahr 2023 überarbeiten. Das kündigte Premierminister François Bayrou in seiner ersten Regierungserklärung vor der Nationalversammlung am Dienstag an. In der Antrittsrede rückte er die aus seiner Sicht hemmungslose Schuldenpolitik wechselnder Regierungen in Frankreich in den Mittelpunkt. Er warnte davor, die prekäre Finanzlage aus den Augen zu verlieren.

„Frankreich war in seiner Geschichte noch nie so hoch verschuldet wie heute“, sagte der Christdemokrat. Politisches Handeln könne keinen Erfolg haben, „wenn es diese Überschuldungsituation nicht berücksichtigt und sich nicht zum Ziel setzt, sie einzudämmen und zu reduzieren“. Der 73 Jahre alte Vater von sechs erwachsenen Kindern warnte davor, die Schulden auf die nachfolgenden Generationen abzuladen. Nach diesem Leitprinzip willigte er in die von Sozialisten und Grünen geforderte Überarbeitung der Rentenreform ein.

Die Reform war nach monatelangen Protesten im April 2023 in Kraft getreten und sieht eine schrittweise Erhöhung des abschlagfreien Renteneintritts von 62 auf 64 Jahre bis 2030 vor. Die Mindestbeitragsdauer wurde von 42 auf 43 Jahre angehoben. Um das Land miteinander zu versöhnen, will Bayrou die Sozialpartner dazu bringen, innerhalb von drei Monaten eine „gerechtere Reform“ auszuarbeiten. Das Gesetz von 2023 sieht vor, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter Ende 2026 auf 63 Jahre steigt. Die „Konklave“ der Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen soll bereits an diesem Freitag erstmals zusammentreten. Er hoffe, dass eine Einigung erzielt werde. Wenn dies nicht der Fall sei, werde die Reform in ihrer Fassung von 2023 weiter gelten.

„Wir müssen alle unsere Budgets überdenken“

Die Sozialisten wollen Bayrous Initiative vorerst unterstützen. Nach einer Dringlichkeitssitzung des Parteivorstands hieß es, die Sozialisten der Regierung lehnten einen von der Linkspartei eingereichten Misstrauensantrag gegen Bayrou ab. Über den Misstrauensantrag soll am Donnerstag abgestimmt werden. Der sozialistische Fraktionsvorsitzende Boris Vallaud begründete die Entscheidung mit den Worten: „Es ist unsere Pflicht, nützlich zu sein.“ Die vorläufige Duldung durch die Sozialisten kommt einem wichtigen Erfolg für Bayrou gleich.

Das Haushaltsdefizit 2025 wird sich nach Worten des Premierministers auf 5,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen. „Wir müssen alle unsere Budgets überdenken“, forderte Bayrou. Er wolle eine „starke Bewegung hin zu weniger Bürokratie“ anstoßen. Die politisch Verantwortlichen müssten wieder den Kontakt zu den Franzosen im Land finden. Bayrou wertete die Gelbwestenproteste als Zeichen für eine zunehmende Entfremdung zwischen den Bürgern und den Politikern. Die Briefe der Gelbwesten müssten gelesen und berücksichtigt werden.

Bayrou wirft Mélenchon vor, ständig den Konflikt zu suchen

Bayrou zeigte sich in seiner rund anderthalbstündigen Rede auch für die Einführung des Verhältniswahlrechts aus. Ende 2025 solle zudem die nach mehr Autonomie strebende Insel Korsika einen neuen Verfassungsstatus erhalten. Die Einwanderungsfrage zerreiße die französische Gesellschaft. „Es ist unsere Pflicht, eine Politik der Kontrolle, der Regulierung und der Rückführung derjenigen in ihr Land zu betreiben, deren Anwesenheit den Zusammenhalt der Nation gefährdet“, sagte der Premierminister. Eingliederung müsse über Arbeit und Spracherwerb erfolgen.

Dem Gründer der Linkspartei LFI, Jean-Luc Mélenchon, hielt Bayrou vor, den ständigen Konflikt zu suchen. Die Nationalversammlung müsse endlich lernen, dass nicht alles auf Konfrontation hinauslaufe. Der Premierminister plädierte für einen neuen Pluralismus, der es erlaubt, in wesentlichen Fragen zusammenzuarbeiten. Er sprach sich für ein „strategisches Europa“ aus, das sich in der neuen Weltordnung behauptet.

Besonders besorgt zeigte Bayrou sich zur Entwicklung in Amerika. „Eine neue Weltunordnung bedroht alle Gleichgewichte und alle Regeln des Anstands“, warnte er. Bayrou ist bereits der sechste Premierminister während Macrons Amtszeit und der vierte im Jahr 2024. Der 73-jährige Zentrumspolitiker war am 13. Dezember von Macron zum Nachfolger des konservativen Premierministers Michel Barnier ernannt worden, der durch ein Misstrauensvotum in Folge eines Haushaltsstreits gestürzt worden war