Wann wir Reichtum gerecht finden

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Auf den ersten Blick ist es ein großes Rätsel: In Umfragen bemängeln die Leute wieder und wieder, dass die Reichen den Armen zu weit davongezogen seien – einerseits. Andererseits können Politiker mit Umverteilung bei Wahlen oft nicht viel gewinnen. Die Menschen mögen die Ungleichheit nicht, tolerieren sie aber ganz offenbar. Das ist nicht nur in Deutschland so, sondern auch in vielen anderen Ländern. Warum?

Verschiedene Thesen stehen im Raum, und wahrscheinlich hat jede ihren Teil an der Wahrheit. Es könnte zum Beispiel sein, dass vielen Leuten am Schluss der eigene Wohlstand doch wichtiger ist als der Vergleich mit anderen, und in Deutschland zumindest finden viele Leute, dass es ihnen noch ganz gut geht. Arme Leute könnten sich auch zum Ziel setzen, selbst reich zu werden, und wollen sich für diesen Fall die Früchte ihrer Arbeit nicht nehmen.

In Deutschland haben die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser vor einigen Monaten noch eine andere Erklärung vorgeschlagen: Zwischen Arm und Reich gibt es zwar noch einen Konflikt, sagen sie, aber der ist weitgehend ritualisiert und hat seine Institutionen – anders als andere, neuere Konflikte in der Gesellschaft, zum Beispiel um Migration oder Klimaschutz.

Und dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich schlicht als gerecht gelten, zumindest in Teilen. So viel ist sicher: Wenn die Ungleichheit auf eigener Anstrengung beruht, ist sie anerkannter, als wenn sie mit reinem Zufall zu tun hat. Ein Team des Ifo-Instituts hat unter diesem Gedanken vor einigen Jahren die Ungleichheit der Vereinigten Staaten untersucht und festgestellt, dass es dort besonders ungerecht zugeht, weil die Chancen so ungleichmäßig verteilt sind.

Glück ist nicht immer gleich Glück

An der Universität Zürich weist jetzt allerdings ein Ökonomenteam darauf hin, dass Glück nicht immer gleich Glück ist. Der Zufall spielt ja im Drama des Lebens ganz verschiedene Rollen. Man kann durch Lottoglück reich werden oder nichts gewinnen. Man kann auch zu Geld kommen, weil man in der Geburtslotterie gewonnen hat, oder in schlechte Umstände hineingeboren werden. Und dann gibt es noch die Art von Zufall, die Jeffrey Yusof und Simona Sartor jetzt „Marktglück“ nennen und der genauso gut Marktpech sein kann: Man kann sich bei der Arbeit noch so anstrengen, man hat trotzdem nicht die volle Kontrolle darüber, ob man damit viel Geld verdient.

Wenn zum Beispiel ein Unternehmer probiert, in Deutschland Olivenöl zu produzieren und es nach Italien zu liefern, wird er wenig Geld damit verdienen, weil diese Leistung nicht besonders gefragt ist, auch wenn er sich noch so sehr anstrengt. Der Markt entlohnt nicht danach, wie viel Arbeit man selbst in ein Produkt gesteckt hat, sondern danach, was es den anderen wert ist. Das führt zwar nicht immer, aber oft dazu, dass gerade die Leistungen gut entlohnt werden, die vielen Menschen wichtig sind. Es bringt aber auch Glück und Pech ins Spiel.

Die Leute finden Marktglück nicht furchtbar unfair

Den Misserfolg unseres Olivenöllieferanten würde man nicht als Pech bezeichnen, eher als schlechte Planung. Aber der Übergang von Planungsqualität zum Glück ist fließend: Was, wenn der Unternehmer das Olivenöl in die Niederlande liefert, aber dort steigt wenige Wochen später auch ein großer Lieferant aus Italien ein, der billiger produziert?

Es gibt unzählige Wege, auf denen Marktglück geschehen kann. Wer vor zwanzig Jahren Künstliche Intelligenz studiert hat, kann jetzt plötzlich mehrere Hunderttausend Euro im Jahr verdienen. Wer dagegen seit zwanzig Jahren sein Können als Illustrator verfeinert hat, der bekommt gerade neue Konkurrenz durch Künstliche Intelligenz und muss um seine Honorare bangen.

Bisher dachten manche Ökonomen, die Menschen würden diese Rolle von Glück ignorieren. „Oberflächliche Meritokratie“ nannten sie dieses Phänomen: Die Menschen wollten zwar Anstrengung belohnen, dächten aber nicht genug an die Rolle von Glück auf den Märkten. Gerade die Reichen betonten oft, wie sehr sie sich auf ihrem Weg nach oben angestrengt hätten, und nicht so sehr, wie viel Glück sie dabei hatten. Doch nach einer Reihe von Experimenten kommen Yusof und Sartor zu dem Schluss: Die Leute finden Marktglück nicht furchtbar unfair.

Mehr Toleranz für Ungleichheit

Die beiden dachten sich ein Experiment aus, in dem die Probanden erst arbeiten mussten – aber ob sie einen Käufer fanden, der ihre Arbeit auch würdigt, das blieb dem Zufall überlassen. Zum Vergleich gab es auch Versuchskonstellationen, in denen der Verdienst nur von der eigenen Anstrengung abhing und in denen er komplett zufällig war. Am wichtigsten waren aber 2000 ganz andere Leute: Die sogenannten Zuschauer. Sie beobachteten, was auf diesen Märkten geschah. Und durften dann die Verdienste zwischen den verschiedenen Arbeitern umverteilen.

Zuerst machten die beiden Ökonomen dieses Experiment in den Vereinigten Staaten. Dort stellten sie fest: Wenn der Verdienst nur auf eigener Leistung beruhte, durften die Arbeiter am meisten von ihrem Einkommen behalten. Hing das Einkommen dagegen nur vom Zufall ab, wurde viel umverteilt, am Ende stand eine sehr gleichmäßige Einkommensverteilung, so wie sie zum Beispiel in Norwegen herrscht.

Doch wenn das Einkommen vom Marktglück abhing, dann tolerierten die Zuschauer mehr Ungleichheit. Dann pendelte sich die Umverteilung genau zwischen den beiden Vergleichsszenarien ein, und am Ende stand eine Ungleichheit, die ausgeprägter ist als in Großbritannien oder Deutschland, fast so wie in den Vereinigten Staaten.

Warum ist Marktglück so anerkannt?

Entscheiden nur die Amerikaner so? Nein. Die beiden Forscher wiederholten ihr Experiment in anderen Ländern. In Frankreich verteilten die Zuschauer in allen Varianten mehr Geld um als in den USA. In China dagegen tolerierten die Zuschauer eine relativ hohe Ungleichheit selbst dann, wenn sie durch reines Glück zustande gekommen war.

Eines aber war in allen Ländern gleich: Marktglück war anerkannter als pures Glück. „Die konventionelle Zweiteilung zwischen Glück und Anstrengung reicht nicht aus“, folgern die Forscher. Sie glauben, auch die Anerkennung von Marktglück könne dazu beitragen, dass die Leute am Schluss doch nicht so viel Umverteilung wollen.

Aber warum ist Marktglück so anerkannt? Die beiden Ökonomen sehen da eine weitere Forschungsaufgabe. Hier ist schon mal eine These: Marktglück hat in der Praxis doch wieder viel mit Anstrengung zu tun. Selbst wer Glück hat, muss sich oft immer noch ordentlich ins Zeug legen, um aus den Marktchancen auch einen Verdienst zu machen. Und wer gut plant, kann seine Glückschancen deutlich vergrößern.

Jeffrey Yusof und Simona Sartor: „Market Luck: Skill-Biased Inequality and Redistributive Preferences“. Job Market Paper, Universität Zürich, Januar 2025.

Paul Hufe, Ravi Kanbur und Andreas Peichl: „Measuring Unfair Inequality: Reconciling Equality of Opportunity and Freedom from Poverty“. The Review of Economic Studies, November 2022, S. 3345–3380, DOI: 10.1093/restud/rdab101