Mehrheit politisch Engagierter erlebt digitale Gewalt

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Mehr als die Hälfte der politisch engagierten Menschen in Deutschland erlebt laut einer aktuellen Studie Anfeindungen im Internet, allen voran Frauen. 58 Prozent aller Befragten gaben an, schon einmal digitale Gewalt erfahren zu haben, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Untersuchung der TU München in Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation HateAid zeigt.

Frauen waren mit 63 Prozent deutlich häufiger betroffen als Männer (53 Prozent). „Egal was ich sage auf Social Media, ich weiß, es kommen Hasskommentare“, wird etwa eine Bundespolitikerin zitiert. Neben Angriffen auf ihre politischen Positionen erleben weibliche Engagierte häufig auch geschlechtsspezifische Gewalt. „Fast ein Viertel der Frauen gab an, Androhungen sexueller Gewalt wie Vergewaltigungsandrohungen erhalten zu haben – und damit fast achtmal so häufig wie ihre männlichen Kollegen“, heißt es in der Untersuchung. „Ich und andere Politikerinnen sollten alle mal von Flüchtlingen vergewaltigt werden… dann würden wir sehen“, zitiert etwa eine Bundespolitikern aus einer solchen an sie gerichteten Hate-Mail.

Etwa die Hälfte der betroffenen Frauen sieht wegen solcher Erfahrungen negative Auswirkungen auf ihr politisches Engagement. Sie stellen demnach ihre Arbeit infrage oder fühlen sich entmutigt, sich politisch zu äußern. Männern wurde demnach häufiger mit anderen Formen körperlicher Gewalt wie Schlägen oder Mord gedroht. Für die nicht repräsentative Studie befragten drei Forscherinnen 1114 Personen zu Anfeindungen im Internet, darunter viele Bundespolitiker.

Auswirkungen auf das politische Engagement

Bei Drohungen bleibe es oft nicht. „Hass im Netz kann zur Radikalisierung und damit auch zu Hassverbrechen im analogen Raum führen“, schreiben die Autorinnen der Studie. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Mehrheit (71 Prozent) der politisch Engagierten, die schon einmal digitale Gewalt erlebt haben, auch häufiger von Gewalt im analogen Raum betroffen ist. Mehr als die Hälfte der Betroffenen äußere Angst davor, allein zu Hause zu sein oder hatte Sorge um ihre Familien und Freunde.

Hass und Hetze haben darum auch Auswirkungen auf das Engagement der politisch Aktiven. So haben etliche Politikerinnen und Politiker angekündigt, aufgrund des Ausmaßes von Drohungen und Diffamierungen im digitalen Raum nicht mehr zu kandidieren. Das spiegelt sich in der Studie wider. Demnach denken 22 Prozent der betroffenen Frauen und zehn Prozent der Männer über einen kompletten Rückzug aus der Politik nach.

„Kaum ein Tag ohne Online-Anfeindungen“

So sagte etwa Yvonne Magwas, CDU-Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages: „In meiner politischen Karriere ist zuletzt kaum ein Tag vergangen, an dem ich nicht online angefeindet worden bin. Beleidigungen, Bedrohungen und Hetze haben mich nicht nur extrem viel Kraft gekostet, sondern ich mache mir auch große Sorgen. Wenn politisch Engagierte online – und offline – weiter so schutzlos angegriffen werden, wird der Hass unser demokratisches Miteinander immer weiter zersetzen.“

Unter den Befragten waren unter anderem Politikerinnen und Politiker auf kommunaler und Landesebene, aber auch auf Bundes- und EU-Ebene. Auch Personen ohne politisches Mandat wie Aktivisten oder Wissenschaftler wurden befragt. Zwölf Befragte äußerten sich auch in anonymen Interviews zu ihren Erfahrungen. Durchgeführt wurden eine quantitative Online-Befragung vom 27. April bis 21. Oktober 2024 und zwölf qualitative Interviews vom 2. Juli bis 26. August 2024. Die Studie ist nicht repräsentativ.

Die Betroffenen fordern ein stärkeres Vorgehen der Justiz gegen das Problem. Doch auch die Parteien selbst, die Social-Media-Plattformen oder Aufsichtsbehörden werden aufgefordert, tätig zu werden. Die Organisation HateAid fordert darum, dass Parteien intern Anlaufstellen für Betroffene von digitaler Gewalt einrichten und Kandidierende bei Wahlen präventiv auf mögliche Hasskampagnen vorbereiten. Zudem sei eine konsequente Strafverfolgung durch die Justiz nötig. Auch müssten Social-Media-Plattformen und Aufsichtsbehörden die EU-Digitalgesetze etwa zum Schutz von öffentlichen Debatten und Wahlen durchsetzen.