Giorgi Gacharias Gesicht war blutüberströmt, als seine Mitstreiterin Anna Buchukuri am späten Dienstagabend dort ankam, wo er gerade krankenhausreif geschlagen worden war. Sie rief die Polizei, doch die ließ sich Zeit: „Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sie da waren“, sagt sie. Dabei fand der Angriff nicht an einem abgelegenen Ort statt, sondern in der Lobby eines großen Hotels im Zentrum von Batumi, der zweitgrößten Stadt Georgiens. Man kann in der unmittelbaren Umgebung tags wie nachts keine fünf Minuten gehen, ohne am Straßenrand Polizeiautos zu sehen.
Gacharia war Wirtschaftsminister, Innenminister und bis 2021 für zwei Jahre Ministerpräsident Georgiens. Jetzt ist er Führer einer der Oppositionsparteien, die das Ergebnis der manipulierten Parlamentswahl von Oktober vorigen Jahres nicht anerkennen. Er war nach Batumi am Schwarzen Meer gereist, weil dort Mitglieder der Jugendorganisation seiner Partei vor Gericht standen. Sie waren wegen der Beteiligung an den seit sieben Wochen ununterbrochen andauernden Demonstrationen für eine faire Neuwahl und die Freilassung aller politischen Gefangenen festgenommen worden.
Batumi ist eine der Hochburgen der derzeitigen Proteste, bei denen anders als während früherer Bewegungen nicht nur in der Hauptstadt Tiflis Menschen in großer Zahl demonstrieren. In den vergangenen Tagen hat Batumi eine Welle von Festnahmen erlebt. Inhaftiert wurde unter anderem die Journalistin Msia Amaglobeli, die wegen eines angeblichen Angriffs auf einen Polizisten in Untersuchungshaft genommen wurde. Ihr droht eine Anklage nach einem Paragraphen, der zwischen vier und sieben Jahren Haft vorsieht. Während der Proteste gegen die Verhaftung der Gründerin der renommierten Internetmedien Batumelebi und Netgazeti wurden weitere Personen festgenommen.
Schlägertrupps gegen Regierungsgegner
Gacharia sei während des Angriffs, an dem sechs bis zehn Männer beteiligt gewesen seien, allein gewesen: Das sagte Anna Buchukuri, die zur Führung von dessen Partei „Für Georgien“ gehört, der F.A.Z. Sie sprach von einem „koordinierten Angriff einer Gruppe“. Der Politiker erlitt bei dem Vorfall am späten Dienstagabend einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung. Sein Zustand sei „zufriedenstellend“, teilten er und seine Partei am Mittwochmorgen mit.
Auch die anderen wesentlichen georgischen Oppositionsparteien werten die Attacke auf Gacharia als gezielten Angriff durch die Regierungspartei Georgischer Traum. Salome Surabischwili, die von der Opposition trotz des formellen Endes ihrer Amtszeit am 29. Dezember weiter als legitime Präsidentin betrachtet wird, sprach von einer „neuen Phase der Repression“. Der Georgische Traum nutze „alle Mittel, die für Putins russisches Regime charakteristisch sind“.
Denn die Täter waren nicht irgendwer: Zu der Gruppe, die Gacharia attackierte, gehörte neben lokalen Politikern der Partei allem Anschein nach auch Dito Samcharadse, einer der prominentesten Abgeordneten des Georgischen Traums. Samcharadse verdankt seine Bekanntheit vor allem den vulgären Beleidigungen und Drohungen, mit denen er Oppositionspolitiker, Demonstranten und Journalisten regelmäßig überzieht. Kurz vor dem Angriff auf Gacharia hatte die gleiche Gruppe um Samcharadse in der Hotellobby schon den Leiter des georgischen Büros der Antikorruptionsorganisation Transparency International attackiert.
Die Opposition verdächtigt Samcharadse bereits seit einiger Zeit, hinter gewaltsamen Angriffen auf Regierungsgegner zu stehen. Sowohl während der mehrwöchigen Massendemonstrationen im Mai vorigen Jahres als auch zu Beginn der jetzigen Protestwelle sind Aktivisten der Zivilgesellschaft und Mitglieder von Oppositionsparteien abseits der Proteste von Schlägertrupps überfallen und zum Teil schwer verletzt worden. Im Mai 2024 veröffentlichte Samcharadse auf Facebook ein Video, das die Verwüstung von Büros oppositioneller Organisationen und regierungskritischer Medien zeigte. Er versah das Video mit der Drohung, was auch immer die Gegner des Georgischen Traums täten: „Wir werden tausendmal schlimmer, schmerzhafter und gekonnter antworten.“
Georgische Abgeordnete schlagen in Abu Dhabi zu
Gacharia ist bei der Führung des Georgischen Traums besonders verhasst, da er bis zu seinem Rücktritt als Ministerpräsident vor vier Jahren selbst zu der Partei gehört hatte. Wenige Tage vor der Parlamentswahl Ende Oktober bezeichnete der faktische Machthaber Georgiens, der Multimilliardär Bidsina Iwanischwili, Gacharia in einem Interview als „Schuft“, mit dem nach der Wahl abgerechnet werde. Den Mitgliedern von Gacharias Partei drohte Iwanischwili damals dafür mit Verfolgung, „dass sie neben ihm stehen“. Sie verdienten vor allem deshalb „strenge Bestrafung“, weil sei einst selbst Mitglieder des Georgischen Traums waren.
Zum Bruch mit Iwanischwili war es im Februar 2021 gekommen, weil Gacharia sich gegen die Verhaftung des damaligen Oppositionsführers Nika Melia ausgesprochen hatte. Politiker des Georgischen Traums attackierten Gacharia nach dem Vorfall in Batumi auch verbal: Er sei noch schlimmer als die übrige Opposition, da er „nicht nur die Regierung, sondern auch Land und Staat verraten“ habe. Regierungstreue Medien versuchten, das Geschehen als Angriff Gacharias darzustellen. Gacharias Mitstreiterin Buchukuri fordert deshalb die vollständige Veröffentlichung der Aufnahmen der Überwachungskameras aus der Hotellobby.
Der Angriff auf Gacharia war der zweite Fall innerhalb weniger Tage, in dem Abgeordnete des Georgischen Traums gewalttätig geworden sind. Am Wochenende haben sich in einem Restaurant in Abu Dhabi drei Parlamentarier der Machtpartei auf einen georgischen Staatsbürger geworfen, der sie zuvor als „Verräter“ und „russische Sklaven“ beschimpft hatte. Dieser Vorfall, von dem Videoaufnahmen existieren, hat diplomatische Verwicklungen zur Folge, da die Beteiligten vorerst nicht ausreisen dürfen. Offenbar wächst die Nervosität unter den Machthabern angesichts der Tatsache, dass die Dynamik der Proteste auch über die Neujahrs- und Weihnachtsfeiertage nicht nachgelassen hat.