Für die Deutsche Lufthansa ist der endlich geglückte Einstieg bei der italienischen Fluggesellschaft ITA ein Erfolg. Der Konzern, der auf dem deutschen Heimatmarkt mit allerlei Schwierigkeiten, hohen Abgaben und murrenden Stammkunden zu kämpfen hat, erschließt sich eine Wachstumsperspektive. Italien war lange ein Ziel großer Hoffnungen, doch ein Versuch mit der Tochtergesellschaft Lufthansa Italia endete im vergangenen Jahrzehnt verlustreich. Diesmal sollte es besser laufen.
Die Transaktion lässt aufhorchen. Der umsatzstärkste Flugkonzern Europas tätigt einen Zukauf, der gemessen an der Zahl der Flugzeuge sogar der größte seiner Geschichte ist. Sorgen, ob danach noch genug Wettbewerb und erschwingliche Tickets für Reisende bleiben, sind verständlich. Allerdings ist Italien wegen des langen Siechtums der Traditionsairline Alitalia längst ein Hort der Billigflieger geworden, die nicht abdrehen werden. Auf mittleren Strecken wird Lufthansa diese Konkurrenz spüren – aber ihrem Langstreckennetz können Reisende aus und nach Italien willkommenen Schub geben.
Ohne die Wettbewerbsauflagen der EU-Kommission wäre die Transaktion allerdings kaum genehmigungsfähig gewesen. Schließlich gilt es, auch die Vorteile starken Wettbewerbs für die Kunden zu wahren. Doch ist es richtig und wichtig, dass solch eine Übernahme möglich bleibt. Teile Europas haben gerade schmerzhaft gelernt, was es bedeutet, etwa in der Energieversorgung von anderen abhängig zu sein. In der Luftfahrt besteht diese Abhängigkeit noch nicht.
Patriotisches Argument mit Gewicht
Lufthansa ist global die Nummer vier, hinter drei US-Gesellschaften. Chinesen wachsen aber schnell, und Gesellschaften wie Emirates , Qatar Airways und Turkish Airlines sind seit Jahren dabei, Marktanteile abzugraben. Ließe man Übernahmen in Europas Luftfahrt aus Wettbewerbsgründen nicht zu, gerieten vom Export abhängige Volkswirtschaften in die missliche Lage, in ihrer internationalen Vernetzung zunehmend auf die Streckenplanung nicht heimischer Airlines angewiesen zu sein. Dieses patriotische Argument wiegt angesichts wachsender politischer Instrumentalisierung offener Märkte leider schwerer als bisher, auch wenn es Freihändler schmerzt.
Das Zusammenrücken mit ITA ist daher ein guter Schritt für Lufthansa und bietet auch Chancen für die EU. Denn der Binnenmarkt wurde auch geschaffen, um hiesigen Unternehmen größere Wachstumschancen zu geben. Das gilt auch für die Luftfahrt. Historisch trifft diese Branche ohnehin eine Besonderheit: Verkehrsrechte sind vielfach daran geknüpft, dass eine Fluggesellschaft mehrheitlich Eigentümern gehört, die an ihrem Startpunkt heimisch sind. Selbst wenn Lufthansa wollte, könnte sie nicht völlig frei in Asien, Südamerika oder Afrika zukaufen.
Das Zusammenwachsen Europas brachte zumindest in der EU Erleichterungen. Ohne diese Wendung wäre auch das Wachstum der Billigflieger wie Ryanair nicht in der erfolgten Weise möglich gewesen. Dem Wettbewerb hat das gutgetan. Auch Lufthansa, Air France oder Iberia profitierten, da eine Konsolidierung für sie leichter wurde. Andernfalls wäre die EU ein kleinstaatlicher Raum mit vielen kleinen Fluggesellschaften geblieben, die sich international wirtschaftlich schwertun.
Zukäufe für Wachstum nötig
Lufthansa wird in Italien allerdings noch genügend Arbeit damit haben, die vom Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr ausgegebenen Gewinnziele zu erreichen. Die erfüllte ITA allein bislang nicht, der dauersieche Vorgänger Alitalia erst recht nicht. Und die zähen Schlussverhandlungen lassen ahnen, dass Lufthansa mit dem italienischen Staat einen nicht immer einfachen Partner an der Seite hat.
Doch dem Konzern bleiben nur Zukäufe, wenn er an der Weltspitze mithalten will. Die deutsche Luftfahrt hat zuletzt viel über widrige Rahmenbedingungen, hohe Steuern und Gebühren hierzulande geklagt, die das Verkehrsaufkommen unter dem Vor-Corona-Niveau halten. Aber auch ohne diese Abgabenlast wären keine gigantischen Wachstumssprünge mehr möglich, wenn man dafür nur auf heimische Kunden setzen müsste.
Die ITA-Übernahme ist keine Flucht vor hohen deutschen Abgaben. Es geht weniger darum, Passagierströme über Rom zu lenken, um weniger an den deutschen Fiskus zu zahlen. Vielmehr verbreitert die Übernahme eines zusätzlichen Marktes die Kundenbasis. Die europäische Bilanz lautet: Eine italienische Marke bleibt im globalen Wettbewerb erhalten, wenn auch unter dem Dach eines deutschen Konzerns. Diese europäische Perspektive gilt es stärker zu gewichten, zumal mit TAP aus Portugal sowie Air Baltic aus Lettland die nächsten Kandidaten für eine Konsolidierung bereitstehen und auf Investoren hoffen, die auch die Erlaubnis zum Einstieg erhalten.