Wie immer im Wahlkampf wird auch in diesem wieder Bismarck das Zitat zugeschrieben, wonach nie so viel gelogen werde wie vor einer Wahl, während des Krieges oder nach der Jagd. Das können heutige Politiker schon deswegen nicht mehr vollumfänglich aus eigener Erfahrung bezeugen, weil sie bei einer Wahl keine Chance hätten, wenn sie auch noch in den Krieg zögen oder gar Rehlein totschießen würden. Aber nach wie vor blasen sie zur Hatz auf den Wähler. Und um dessen Gunst wird nicht erst seit des Reichskanzlers Zeiten mit Versprechungen aller Art gerungen, die danach oft leider nicht gehalten werden können. Flankierend werden auch immer wieder Behauptungen über Konkurrenten aufgestellt, bei denen sich die Balken biegen.
Und doch bemühen sich immerhin einige der Kombattanten wenigstens gelegentlich um Ehrlichkeit. Das sieht man nicht nur an dem Fairnessabkommen, sondern auch an den Wortmeldungen aus allen politischen Lagern, in denen das Wort „ehrlich“ vorkommt. Da gibt es einige Variationen: „um ehrlich zu sein“, „ganz ehrlich“, „ehrlich gesagt“, „mal ehrlich“, „und das wirklich und ehrlich“ und so weiter.
Die verdruckste Parole „Alice für Deutschland“
Manchmal wird sogar zugegeben, gar nicht anders zu können, als die Wahrheit zu äußern. So leitete etwa die AfD-Vorsitzende Weidel ihr Glaubensbekenntnis zum Begriff Remigration mit dem Satz ein: „Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen . . .“. Leider ist dieser Drang zur kompromisslosen Aufrichtigkeit noch nicht in der ganzen AfD verbreitet, wie es auch die verdruckste Parole „Alice für Deutschland“ zeigt. Mit dem vollkommen klaren „Alles für Deutschland“ würde man aber eben wie Höcke vor Gericht landen. Und die SA-Fans verstehen ja auch so, was ihnen die Partei sagen will.
Die immer wieder einmal aufblitzende Ehrlichkeit der Politiker trägt aber auch noch ein anderes Problem in sich. Denn die Äußerungen, die die Politiker selbst als ehrlich markieren, machen bisher nur einen Bruchteil all ihrer Aussagen aus. Nach den Regeln der (Sprach-)Logik muss man davon ausgehen, dass alles andere nicht (ganz) ehrlich ist oder gesagt wird, um unehrlich zu sein.
Aber auch das ist nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick erscheint. Sagt zum Beispiel der Politiker X über seinen ehemaligen Koalitionspartner Y, dass der ein verlogener Lump sei, ohne dieser Behauptung Ehrlichkeitsbekräftigungen vorauszuschicken, wüssten wir doch alle sofort, dass X das in Wahrheit gar nicht so meint, sondern nur lügt.
Habeck hält sich nicht an die Ehrlichkeitsregel
Leider halten sich aber nicht alle Politiker an diese Grundregel der politischen Kommunikation. Habeck zum Beispiel verwendet das Adjektiv „ehrlich“ relativ sparsam, trotzdem sind wir davon überzeugt, dass er uns unsere Gasheizung wegnehmen wollte und nun auch noch an den Spargroschen ranwill. Dann könnten wir uns ja wieder keine Wärmepumpe kaufen.
Wir glauben, ehrlich geschrieben, auch fest daran, dass Weidel nicht nur wie versprochen die „Windmühlen der Schande“ im hessischen Märchenwald abreißen wird, wenn sie in dem Wunderland ans Ruder kommt, das sie uns verheißt. Höcke wird dann sicher darauf bestehen, dass die Bagger gleich mit dem „Denkmal der Schande“ in Berlin weitermachen.
Würde Weidel, wenn sie Kanzlerin wäre, aber auch am Brandenburger Tor rufen „Mr. Trump, tear down this Brandmauer!“? Das wäre eine Eselei, die uns immer unwahrscheinlicher vorkommt. Denn aus Sicht der AfD ist ja sogar die Merz-CDU derart linksgrün versifft, dass Weidel und Co., gäbe es die Brandmauer nicht, einen antikommunistischen Schutzwall errichten müssten, um sich nicht mit dem Woke-Virus zu infizieren. Den fürchtet die AfD noch mehr als ein Rinderzüchter die Maul- und Klauenseuche. Die Gender-Studies-Professoren können froh sein, dass Weidel sie nur rausschmeißen will und nicht keulen. Allerdings machte die AfD-Chefin diese Ankündigung, ohne zu erwähnen, dass ihr Verzicht auf die ultimative Seuchenschutzmaßnahme bei der Säuberung der „queer-woken Kaderschmieden“ ganz ehrlich gemeint ist.