Warum fehlender Klimaschutz auf Dauer teurer und tödlicher ist

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Seit zehn Tagen brennt es in Los Angeles. Wie viele Menschen im Feuer starben, wie viele Tausend Häuser genau verbrannt sind, weiß noch niemand, aber zwei Dinge zeichnen sich ab: Diese Katastrophe wird weit mehr als hundert Milliarden Euro kosten, und die Erwärmung der Erdatmosphäre ist eine ihrer Ursachen.

Das Versicherungsunternehmen Aon plc glaubt, dass diese Waldbrände die teuersten der amerikanischen Geschichte sind, und das Konsortium „Climameter“ stellt fest, die Winde, die Temperaturen und die Trockenheit, welche das Feuer begünstigt haben, seien in diesem Januar so ungewöhnlich, dass sie ohne Klimawandel nicht möglich gewesen wären. Und während deutsche Politiker darüber streiten, wie viel Klimaschutz die Wirtschaft sich überhaupt leisten kann, kommen Forscher zu der Folgerung: Klimaschutz mag teuer sein, aber kein Klimaschutz ist teurer – und tödlicher.

Dafür spricht schon die Vorgeschichte der Feuersbrunst. Das Jahr 2024 hatte Rekorde gebrochen: Es war das heißeste seit Menschengedenken, und der 22. Juni war der heißeste Tag der Geschichte.

Zunder setzte die Stadt in Flammen

In Los Angeles hat dann der „Peitscheneffekt“ die Flammen angetrieben: die schnelle Abfolge von starkem Regen und Dürre, eine Folge des Klimawandels. Regenfluten im Winter 2022/2023 hatten in den Wäldern um Los Angeles das Unterholz wuchern lassen, die folgende Trockenheit ließ es dann verdorren. Am Ende war es der Zunder, der die Stadt in Flammen setzte. In einer Studie von „Nature Reviews“ heißt es, dieser Effekt werde wohl weiter zunehmen.

Viele Fachleute glauben, dass der Preis, den Kalifornien jetzt für den Klimawandel zahlt, für einen weltweiten Trend steht. Die Physikerin Leonie Wenz vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung meint, bis Mitte des Jahrhunderts würden die Schäden durch die Erderwärmung „um ein Vielfaches höher“ werden als die Vermeidungskosten zur Begrenzung auf zwei Grad. Andere kommen zwar auf niedrigere Zahlen, aber Wenz bleibt der F.A.S. gegenüber bei der Feststellung: „Klimaschutz ist viel günstiger als kein Klimaschutz.“

Im deutschen Wahlkampf sehen manche das anders. Der CSU-Vorsitzende Markus Söder will jetzt wegen wirtschaftlicher Herausforderungen die Klimaneutralität Bayerns erst 2045 erreichen statt 2040, und sein Koalitionspartner Hubert Aiwanger von den Freien Wählern meint, wenn die Wirtschaft „den Bach runtergehe“, seien auch „die ganzen CO2-Ziele“ sinnlos. FDP-Chef Christian Lindner sagte schon letzten Sommer, „ohne Wachstum“ würden Deutschland am Ende die Mittel für den Klimaschutz fehlen.

Die Klimaforscherin Wenz meint dazu, in Deutschland werde zu wenig bedacht, was der Klimawandel koste. Einige Beispiele der letzten Jahre zeigen, was das heißt. In Deutschland hat die Ahrtal-Flut von 2021 nach Auskunft des Klimafachmanns Tobias Grimm von der Munich Re, einem führenden Rückversicherer, etwa 40 Milliarden Euro gekostet – das entspricht knapp vier Fünfteln des regulären deutschen Verteidigungsetats. Im Jahr davor wurden von der Dürre in Indonesien 19 Millionen Menschen betroffen, und im Dezember warnte der russische Machthaber Wladimir Putin, der steigende Meeresspiegel bedrohe St. Petersburg.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


Aber der Klimawandel kostet auch Leben. Die „Emergency Events Database“ hat errechnet, das 2023 15.000 Menschen weltweit durch Stürme gestorben sind und 8000 durch Fluten. Allerdings konnten die Opferzahlen zuletzt durch Schutzmaßnahmen eingedämmt werden.

Viel mehr Menschen sterben aber an extremer Hitze. Der Forschungsverbund „World Weather Attribution“ nennt sie den „stillen Killer“ unter den Klimaphänomenen: Wenn es zu heiß wird, steigt vor allem unter kranken und alten Menschen die Mortalität steil an.

Eines der ersten Massensterben durch Hitze kam im Sommer 2003, als bei Paris Kühlzelte für die Toten aufgestellt werden mussten, weil die Schauhäuser voll waren. 2024 meldeten in Bamako, der Hauptstadt von Mali, die Krankenhäuser allein in den ersten vier Apriltagen mehr als 100 zusätzliche Tote, und in Saudi-Arabien starben etwa 1300 Pilger auf dem Weg nach Mekka. All das zusammengenommen gibt ein erschreckendes Bild. Mehrere Untersuchungen haben ergeben, dass der Hitzesommer 2022 allein in Europa 68.000 Menschen das Leben gekostet hat. Ohne den Klimawandel wären es nur halb so viele gewesen.

In Geld gerechnet, sind die Kosten der Erwärmung nur näherungsweise absehbar. Die Munich Re hat in ihrer globalen Bilanz der Schäden durch Naturkatastrophen 311 Milliarden Euro für 2024 genannt. Das ist ein scharfer Anstieg im Vergleich zu den letzten 10 Jahren. 93 Prozent wurden durch Wetterkatastrophen verursacht. Schlussfolgerung der Munich Re: Die „zerstörerischen Kräfte“ des Klimawandels „werden immer offensichtlicher“.

Allerdings liegen die steigenden Kosten nicht nur am Klima. Tobias Grimm von der Munich Re zufolge liegen die wachsenden Verluste auch daran, dass immer mehr wertvolle Objekte in Risikogebieten stehen – Feriensiedlungen an flutgefährdeten Küsten oder, wie in Los Angeles, Wohngebiete am Rande brandgefährdeter Gehölze.

Nicht mitberechnet: indirekte Schäden

Andererseits aber weist Grimm auch darauf hin, dass die von der Munich Re ausgewiesenen 311 Milliarden nur einen Bruchteil der wirklichen Schäden darstellen – nämlich das, was „direkt“ beschädigt wurde, etwa Häuser oder Brücken. „Indirekte Schäden“, wie Missernten, Waldschäden durch Borkenkäfer, Kraftwerke, die mangels Kühlwasser abgeschaltet werden, oder Rheinschiffe, die bei Niedrigwasser stillliegen, seien hier nicht mitgerechnet. Ein Bericht im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hat im Jahr 2022 noch viele weitere „indirekte“ Klimakosten aufgelistet. Dazu gehören Hitzestress bei Nutztieren und Fischen, Wassermangel für Mensch, Landwirtschaft und Industrie, Kosten für Kühlenergie oder Schneemangel in Skigebieten.

Wie gewaltig der Unterschied sein kann, zeigen Berechnungen zum Hurrikan Helene, der 2024 den Südosten der USA verwüstet hat. Die Munich Re hat die „direkten“ Kosten mit 54 Milliarden Euro angegeben, der Wetterdienst Accu Weather dagegen rechnete die indirekten wirtschaftlichen Schäden mit und kam auf bis zu 243 Milliarden – knapp das Fünffache. Dementsprechend gibt möglicherweise auch die Gesamtbilanz der Munich Re nur einen Bruchteil der wirklichen Schäden an. Und die Summe wird noch einmal deutlich höher, wenn man hinzurechnet, was weltweit zum Schutz vor Klimawandelfolgen ausgegeben werden muss. Dem Weltklimarat zufolge werden 2030 allein die Entwicklungsländer dafür 123 Milliarden Euro jährlich brauchen. 2050 könnten es schon 286 Milliarden werden.

Die Kosten des Klimawandels sind schwer zu errechnen und in der Wissenschaft umstritten. Kaum jemand bezweifelt aber, dass sie gewaltig sein werden. Leonie Wenz vom Potsdam-Institut schätzt, dass die Welt um 2050 durch die Erderwärmung etwa 20 Prozent ärmer wäre. Für Deutschland gibt eine Studie im Auftrag des Wirtschaftsministeriums für die Zeit zwischen 2022 und 2050 je nach dem Tempo der Erwärmung kumulierte Kosten von mindestens 280 bis 900 Milliarden Euro an. Das wäre bis zu neunzigmal so viel wie der gesamte Etat des Ministeriums im letzten Jahr.

Der Klimawandel kostet aber nicht nur Geld und Leben, er treibt auch Mi­gration an. Wenn Dürre, Stürme und Fluten ganze Landstriche unbewohnbar machen, wandern Menschen aus – das bestätigen Fachleute des Potsdam-Institutes, und auch der Rückversicherer Swiss Re stellt fest: Klimawandel kann „in Unruhen und Massenmigration umschlagen“.

Andere Perspektive auf den Pacific Coast Highway in Malibu.
Andere Perspektive auf den Pacific Coast Highway in Malibu.AFP

Auch die große Wanderung von Syrien nach Deutschland nach 2015 und damit der Aufstieg der AfD und die heutige Unruhe in der deutschen Gesellschaft hängen möglicherweise mit diesem Effekt zusammen. Die Fachpublikation „Global Environmental Change“ schreibt, klimatische Faktoren hätten vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten Konflikte geschürt und den Bürgerkrieg in Syrien angeheizt.

Kira Vinke, die Leiterin des Zentrums für Klima- und Außenpolitik bei der DGAP, hat der F.A.S. die Vorgeschichte der Massenflucht aus Syrien beschrieben: Dem Bürgerkrieg war eine der schwersten Dürren seit Beginn der Aufzeichnungen vorausgegangen. Ernten fielen aus, Viehherden verendeten. Die Menschen flohen vom Land in die Städte.

Weil der Diktator Baschar al-Assad nicht adäquat reagierte, gab es Unzufriedenheit, Protest und nach einer brutalen Reaktion des Regimes am Ende Blutvergießen. „Der Klimawandel gehört zum Ursachenbündel der großen Migration von 2015“, folgert Vinke. „Er war sprichwörtlich einer der Tropfen, die das Fass schließlich zum Überlaufen brachten.“

Die Kosten des Klimawandels sind also gewaltig. Wie aber vergleichen sie sich mit den Kosten seiner Verhinderung? Das Wirtschaftsministerium kommt auf Kosten des Klimawandels für Deutschland von mindestens 280 Milliarden Euro, andererseits aber summieren sich allein die Vergütungsansprüche für Anbieter erneuerbarer Energien bis 2035 ebenfalls auf 280 Milliarden – so geht es aus einem Rechner von Agora Energiewende hervor.

300 Euro Schaden je Tonne CO2

Um die Kosten von Klimawandel und Klimaschutz zu vergleichen, rechnen Forscher einerseits den Schaden aus, den eine Tonne CO2 verursacht – und andererseits die Kosten ihrer Vermeidung. Einige Studien setzen den Schaden um 1000 Euro je Tonne an – doch „die sind noch nicht Konsens“, wie Moritz Drupp sagt, Professor für Nachhaltigkeitsökonomik an der Universität Hamburg. Das Umweltbundesamt stellt fest: Anerkannt ist derzeit ein Schaden von 300 Euro je ausgestoßener Tonne.

Und dann kommt es darauf an, wo der Schaden anfällt. CO2 verteilt sich weltweit, und wenn weniger ausgestoßen wird, verteilt sich der Nutzen über den ganzen Globus. Die Kosten aber bleiben an denen hängen, die beim Einsparen vorne sind. Umgekehrt fürchten manche, dass Deutschland viel für Klimaschutz bezahlt – und trotzdem zugleich auch die Kosten des Klimawandels trägt, weil China oder Indien nicht mitziehen.

Wie entkommt man diesem Dilemma? Die amerikanischen Forscher Adrien Bilal und Diego Känzig haben gezeigt: Ein Fünftel der vermiedenen CO2-Schäden fällt in den USA an, ein weiteres in der EU. Das wären also 60 bis 200 Euro je Tonne. Das heißt: Klimaschutz kann sich für EU und USA auch ohne internationale Kooperation lohnen – wenn man es richtig macht. Hier aber hapert es, denn das Potsdam-Institut meint: Von 1500 Maßnahmen hatten nur 69 klar Erfolg.

Vieles kostet mehr, als es nutzt. Für das hoch subventionierte Deutschlandticket ließ sich im vergangenen Jahr ermitteln, dass in diesem System die Vermeidung einer Tonne CO2 astronomische 4000 Euro kostet. Ein Tempolimit käme ebenfalls auf Vermeidungskosten im vierstelligen Bereich, so viel lässt sich aus Zahlen des Umweltbundesamtes ableiten – denn es vermeidet so wenig CO2, dass der Zeitverlust stark ins Gewicht fällt. Die Kosten eines Tempolimits lägen also weit über dem Schaden, der für den CO2-Ausstoß angenommen wird.

Doch es gibt auch viele billigere Maßnahmen. Im europäischen System der CO2-Zertifikate zum Beispiel sind Unternehmen derzeit in der Lage, ihre Emissionsrechte für rund 80 Euro zu verkaufen. Das heißt: Viele haben Wege gefunden, eine Tonne CO2 schon für 80 Euro einzusparen. In diesem System ist Klimaschutz viel billiger als die Schäden durch Klimawandel.

Bilal und Känzig jedenfalls glauben, dass sich in der EU 80 Prozent der Emissionen vermeiden lassen und dass sich das auch für die EU allein auszahlen würde. Vielleicht ist da die Lösung: Nicht auf Klimaschutz zu verzichten, sondern nur auf die Teile mit schlechtem Preis-Leistungs-Verhältnis.