Merkel macht Wahlkampf für Merz – ein bisschen zumindest

46

Die 1300 Gäste beim Neujahresempfang der nordrhein-westfälischen CDU bereiten Angela Merkel am Samstag einen triumphalen Empfang. Minutenlangen stehenden Applaus bekommt die frühere Bundeskanzlerin in der „Station Airport“, einer Veranstaltungshalle mit Blick auf die Start- und Landebahnen des Düsseldorfer Flughafen. In Video-Einspielern wird Merkel passend als „Kapitänin“ gefeiert, als eine Frau, die „wie keine andere für Weitblick und Stabilität steht“ und im Dienst „für Freiheit, Stabilität und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ gestanden habe.

Seit Merkel Ende 2021 nach sechzehn Jahren aus dem Amt geschieden war, hatte sie sich rar gemacht. Nur wenige Einladungen nahm sie an – um sich an der Arbeit ihrer nun vor kurzem erschienenen Autobiografie mit dem Titel „Freiheit“ zu widmen, wie es hieß. In der CDU munkelten viele, Merkels Zurückhaltung habe vielleicht noch mehr damit zu tun, dass nun ihr alter Rivale Friedrich Merz CDU-Vorsitzender ist und das Wahlprogramm der Union für die vorgezogene Bundestagswahl in einigen Punkten, besonders bei der Verschärfung der Migrationspolitik, eine Abkehr von ihrer liberaleren Politik darstellt.

In der ihr eigenen spröden Art

Viele in der Partei trieb die Frage um, ob Merkel überhaupt bereit sein würde, sich im Bundestagswahlkampf wenigstens ein bisschen für Merz ins Zeug zu werfen. Am Samstag bringt Merkel die Parteipflicht gleich zu Beginn ihrer Festrede hinter sich – in der ihr eigenen spröden Art. „Auch wenn ich nicht mehr aktiv im Wahlkampf tätig bin, dann wünsche ich natürlich der CDU – allen Kandidatinnen und Kandidaten – das Allerbeste, damit die christlich-demokratische Union zusammen mit der CSU stärkste politische Kraft in Deutschland wird und dass Friedrich Merz dadurch das Mandat erhält, Bundeskanzler zu werden.“ Nur einmal noch erwähnt Merkel den Namen Merz, als sie beiläufig erklärt, warum er nicht beim Neujahrsempfang seines CDU-Heimatverbands dabei ist: Merz treffe sich zur Stunde mit den Spitzen der Europäischen Volkspartei (EVP) in Berlin.

Und schon ist Merkel auf einem Themenfeld, dem sie sich aus tiefer Überzeugung mit Leidenschaft widmet: Europa und der Multilateralismus. „Europa, die Europäische Union, sind unsere Lebensversicherung. Ohne die EU wären wir in dieser Welt von über acht Milliarden Menschen verloren.“

Europa stehe vor großen Herausforderungen. Als erste Herausforderung benennt Merkel den Umstand, dass am Montag Donald Trump zum zweiten Mal das Amt des amerikanischen Präsidenten übernimmt. Trump sei ein „besonderer Präsident“. Er verteidige „die legitimen Interessen“ der USA, aber in der multilateralen Zusammenarbeit glaube er nicht an „Win-Win-Situationen“, sondern daran, dass es immer einen Sieger und einen Verlierer gebe. „Wir werden Donald Trump nicht ändern, aber wir dürfen darauf reagieren.“ Europa müsse seine Interessen bündeln – und mehr Selbstbewusstsein zeigen. Denn die Vereinigten Staaten wären auch nicht gut beraten, wenn sie keinen Verbündeten in Europa suchten. „Auch wir sind ein starker Faktor.“

Die USA als Schlüssel zum Frieden

Die transatlantische Partnerschaft sei heute noch unverzichtbarer als bisher schon. Denn mit dem Überfall des russischen Präsidenten Wladimir Putin Anfang 2022 auf die Ukraine sei das Grundprinzip der europäischen Nachkriegsordnung – die territoriale Unverletzlichkeit – außer Kraft gesetzt worden. Nur mit den USA und innerhalb der NATO könnte erreicht werden, „dass Putin den Krieg nicht gewinnt und die Ukraine als selbstständiger Staat bestehen bleibt“.

Sodann kommt die frühere Kanzlerin auf ein Thema, dass sie nach eigenem Bekunden besonders umtreibt: das schwindende Vertrauen vieler Bürger in die Politik, die Demokratie, den Staat und seine Institutionen. Einen Hauch von Selbstkritik mag man heraushören, als Merkel sagt, dieser Vertrauensverlust halte schon seit Jahren an.

Doch statt hier ins Detail zu gehen, beklagt die frühere Kanzlerin, dass auch die Ampel in ihrer Regierungszeit ihre Chance vertan habe. Um das festzustellen, müsse man nicht in der CDU sein. „Auch jenseits der Parteipolitik ist das staatspolitisch ein Problem.“ Doch will Merkel die Bürger nicht aus der Verantwortung entlassen. „Auch die beste Politik allein wird nicht funktionieren, wenn wir uns nicht bewusst sind, dass wir als Bürgerinnen und Bürger eine Verantwortung für diese Freiheit haben.“

Für ihr Verhältnisse geradezu mit Verve wirbt Merkel für etwas, was in ihrer Amtszeit in Deutschland bestenfalls zögerlich vorangekommen war: die Digitalisierung. „Das geht nicht mehr lange gut“, prophezeit Merkel. Mitarbeiter eines Staates, der kein „gutes und natürliches Verhältnis zur Digitalisierung hat, werden sich in der modernen Welt nicht mehr zurechtfinden“. Zugleich stelle auch die Digitalisierung die Demokratie vor große Herausforderungen, sagt Merkel mit Blick auf die Sozialen Medien. „Ich bin der festen Überzeugung hier bedarf es der Leitplanken des Staates.“

Wohl Merkels einziger Auftritt im Wahlkampf

Die frühere Kanzlerin würdigt die Bedeutung des Digital Services Act der EU. „Vom Grundsatz her kann und darf ein freiheitlich-demokratischer Staat nicht zusehen, wie niemand mehr Verantwortung für Botschaften hat, die sich dann als falsch, als hetzerisch erweisen.“ Schiebe man dem keinen Riegel vor, würden demokratische Grundlagen zersetzt. Niemand solle darauf hereinfallen, dass mit der Regulierung die Meinungsfreiheit beschnitten werde. Auch bei Zeitungen gebe es selbstverständlich presserechtlich Verantwortliche. „Was in der realen Welt gilt, kann nicht in der digitalen Welt vollkommen falsch sein.“

Merkels Düsseldorfer Rede wird dem Vernehmen nach ihr einziger Auftritt im Wahlkampf bleiben. Die Idee, die frühere Kanzlerin als Festrednerin einzuladen, soll der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Hendrik Wüst gehabt haben. Wüst, der Mitte September seine eigenen Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur aufgegeben und sich für Friedrich Merz ausgesprochen hatte, tritt schon seit einiger Zeit als Versöhner zwischen den Parteilagern auf.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zählt zu jenen in der Union, die davor waren, die sogenannten Merkel-Wähler im Wahlkampf zu vergessen. In seiner Rede auf dem CDU-Neujahrsempfang würdigt er die frühere Kanzlerin ausführlich. Merkel habe sich „unermüdlich für Freiheit und Demokratie starkgemacht“. Sie habe die Staaten zusammengehalten. Unter ihrer Führung habe Deutschland Verantwortung übernommen. „Angela Merkel war so etwas wie die Anführerin der freien Welt“, zitiert Wüst den britischen Historiker Timothy Garton Ash – und bringt sodann das Kunststück fertig, eine Brücke von Merkel zu Merz zu schlagen.

In den drei Jahren der Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei Deutschland „als Takt- und Impulsgeber in Europa in den letzten Jahren unter der Ampel ausgefallen“. Dabei komme auf das Land jetzt eine internationale Verantwortung zu, die vielleicht noch größer als vor acht Jahren zu Beginn der ersten Amtszeit Trumps sei. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sei dafür der richtige Politiker. Deutschland brauche jetzt einen Kanzler, der dafür sorgt, dass Deutschland seiner Verantwortung in Europa und der Welt wieder gerecht werde. „Nur Friedrich Merz kann das.“