Die Linke steht am Abgrund, aber immerhin ist man sich einig, jetzt nicht auch noch freiwillig weiterzugehen. Und so verabschiedet die Partei am Samstag in Berlin das Wahlprogramm in seltener Einmütigkeit. Es ist der kürzeste Parteitag ihrer Geschichte und immer wieder wird auf der Bühne und in den Gängen ein Aufschwung beschworen: „Wir kommen sicher in den Bundestag“, sagt die Ko-Parteivorsitzende Ines Schwerdtner zum Auftakt, „denn noch nie war eine Linke so wichtig wie heute in diesem Land“. Nur sehen das weiterhin nur wenige Wähler so.
Zumindest bleibt die Linke in Umfragen wie festgefroren unter der Fünfprozenthürde, meist zwischen drei und vier Prozent. Auch wenn der Aufstieg der Partei der einstigen Linken-Ikone Sahra Wagenknecht längst ins Stocken geraten ist, kommt das der Linken (noch) nicht zugute.
Es bleibt die Hoffnung auf die „Mission Silberlocke“ und den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten zum Wiedereinzug in den Bundestag. Jan van Aken, Ko-Parteivorsitzender, sagt, die Linke sei „gerade sowas von lebendig, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe“. In den letzten Jahren habe er oft gute Laune gehabt, „obwohl ich ein Linker bin“, sagt er auch. „Heute bin ich richtig gut gelaunt, weil ich ein Linker bin.“ Per Akklamation werden er und die Ko-Vorsitzende der Bundestagsgruppe Heidi Reichinnek am Samstag als Spitzenkandidaten bestätigt.
Es läuft im Sinne der Parteiführung
In dieser so lebendigen Partei war es der Antragskommission in den vergangenen Tagen gelungen, die gut 564 Änderungsanträge für das Wahlprogramm auf knapp 50 für den Parteitag herunterzuhandeln. Sogar die gut 100 Änderungsanträge für das Kapitel zur Außenpolitik, bei der man in der Linken gerne unversöhnlich aneinandergerät, konnten auf zehn eingedampft werden – die werden im Sinne der Parteiführung am Samstag dann auch abgelehnt.
Die gut 450 Delegierten tun van Aken und Reichinnek sogar den Gefallen, auf ein klassisches Partei-Vorwort des Programms zu verzichten – und stattdessen einen von „Heidi & Jan“ verfassten Brief an den Anfang zu stellen. „Alleine sind wir den Reichen und Mächtigen ausgeliefert, aber gemeinsam können wir uns wehren“, heißt es darin.
Inhaltlich will die Linke sich darauf konzentrieren, die Lebensunterhaltskosten zu senken – vor allem beim Wohnen und der Nahrung. Ein bundesweiter Mietendeckel wird gefordert, die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel soll gestrichen werden. In dem 64 Seiten langen Programm steht, dass die Schuldenbremse abgeschafft werden soll, der Mindestlohn auf 15 Euro erhöht, es soll eine Krankasse geben, in die alle einzahlen, eine Vermögenssteuer soll eingeführt und Energiepreise gesenkt werden. Die Linke will mehr Gerechtigkeit für den Osten mit Blick auf Renten und Investitionen. Man behauptet von sich, Friedenspartei zu sein, und fordert statt Waffenlieferungen für die Ukraine diplomatische Initiativen; auch Israel soll keine Waffen aus Deutschland mehr bekommen.
„Die können Armut nicht fühlen“
Das Programm soll die Erkenntnis sein aus Tausenden Haustürgesprächen. An mehr als 150.000 Haustüren habe man geklopft seit Oktober, heißt es aus der Partei. Gut jede dritte sei aufgegangen. Die Attacken auf dem Parteitag richten sich in den Reden vor allem gegen die AfD, die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz – und die Grünen. Die hätten, sagt van Aken, bei der Klimapolitik den sozialen Ausgleich vergessen. „Die können Armut nicht fühlen.“ Ein Alleinstellungsmerkmal nimmt man für sich bei der Asyl- und Migrationspolitik in Anspruch. Alle bisherigen Asylrechtsverschärfungen lehnt die Partei ab. Nach fünf Jahren in Deutschland soll es einen Rechtsanspruch auf Einwanderung geben.
Das ist auch einer der deutlichsten Unterschiede zum BSW. Über das will in Berliner Parteitagshalle ohnehin niemand reden – nur eine Zahl wird gerne erwähnt: etwa 17.000 neue Mitglieder seien seit der Abspaltung in die Linke eingetreten. Freilich hat das BSW bei seinen Landtagswahl-Erfolgen im vergangenen Jahr aber auch besonders viele ehemalige Linke-Wähler angezogen.
Auch den Kampf um die dringend benötigten Direktmandate macht das nicht leichter. Sechs Wahlkreise hat die Parteiführung als aussichtsreich identifiziert, in dreien davon treten die selbsterklärten Silberlocken an: Gregor Gysi hat in Berlin-Köpenick wohl die besten Aussichten, Bodo Ramelow tritt zwar als ehemaliger Ministerpräsident im Wahlkreis Erfurt-Weimar-Weimarer Land II an, aber dort ist die AfD stark. Dietmar Bartsch dürfte es in Rostock ebenso schwer haben. Bleiben zwei weitere Wahlkreise in Berlin und einer in Leipzig.
Gysi gibt sich aber ebenfalls Mühe, auf der Parteitagsbühne Zuversicht zu verbreiten. Er erzählt, dass er in einem neuen Bundestag als dienstältester Abgeordneter Alterspräsident werden dürfte. Damit dürfte er nicht nur zur Eröffnung des Bundestages reden, sagt Gysi. Es wäre seine „erste, letzte und einzige Rede im deutschen Bundestag ohne Redezeitbegrenzung“. Jubel in der Halle.