Insolvenz beim Motorradhersteller KTM

70

Der überraschende Zusammenbruch des österreichischen Motorradherstellers KTM wirft Fragen auf. Das von dem Industriellen Stefan Pierer kontrollierte Unternehmen beantragte am Freitag beim Landesgericht Ried ein Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung. Nach Angaben der Gläubigerschutzverbände Creditreform und KSV1870 hat die Traditionsmarke Schulden von 1,8 Milliarden Euro angehäuft. Die Gesamtverbindlichkeiten werden auf fast drei Milliarden Euro geschätzt. Betroffen sind mehr als 3600 Beschäftigte.

Als Ursache für die Insolvenz wurde unter anderem auf gestiegene Standortkosten und die Rezession verwiesen. Konsumflaute und ein Nachfrageknick hätten zu einem extremen Lagerbestand von rund einer Milliarde Euro geführt. Der Motorrad-Überbestand liege aktuell bei rund 130.000 Stück. Daher sind auch eine Verkleinerung der Produktion, eine Umstellung von Zwei- auf Einschichtbetrieb sowie ein Produktionsstopp für Januar und Februar angekündigt worden.

Den Gläubigern wird im Sanierungsplan eine Quote von 30 Prozent, zahlbar innerhalb von zwei Jahren, angeboten. Damit das gelingt, müssen die Gläubiger jedoch einen Sanierungsplan für die Gesellschaft, die kürzlich noch Rekordumsätze meldete, akzeptieren. Es wird nicht gehen, ohne dass der Eigentümer seinen Beitrag leistet, meinte KSV-Fachmann Karl-Heinz Götze gegenüber dem ORF zur Frage, was nötig ist, damit der Plan angenommen wird.

Rasanter Absturz

Noch sehe man erst einen kleinen Ausschnitt aus den Details zu der Schieflage, sagte der Insolvenzrechtler am Freitagabend. Da Eigentümer Pierer schon von seinem Lebenswerk gesprochen habe, das er retten wolle, zeigt sich Götze auch positiv, dass die Sanierung gelingen könne und Pierer Geld einschießt. Das würden schlussendlich auch die Banken verlangen, denen KTM 1,3 Milliarden Euro schuldet. „Die Banken müssen mitgehen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt“, sagte Götze. Mit 750 Stellen dürften 20 Prozent der Belegschaft abgebaut werden.

Kritisch sehen Vertreter von Gläubigerschutzverbänden die Rasanz des Niedergangs. Schließlich sind die vergangenen Jahre noch von Zukäufen und Investitionen geprägt, sodass KTM 2023 bei einem Umsatz von knapp zwei Milliarden Euro noch einen Nettogewinn von 109 Millionen Euro bilanzierte. „Da muss es eine massive Fehleinschätzung des Marktes gegeben haben – dieser wurde wohl viel zu positiv gesehen und die Warnzeichen zu spät. Ich verstehe das noch nicht ganz“, sagte Götze vom KSV1870. „Da hätte man früher die Produktion drosseln müssen.“

Anders als die Konkurrenz bilanzierte KTM auf dem Motorradmarkt mit Einbußen. Während die Zulassungszahlen auf dem europäischen Motorradmarkt im ersten Halbjahr um fünf Prozent auf rund eine halbe Million Einheiten gewachsen sind, mussten die Oberösterreicher einen Rückgang von 14 Prozent hinnehmen. In Nordamerika fiel das Minus mit 36 Prozent deutlich höher aus. In Internetforen wird darüber spekuliert, dass es bei KTM in den vergangenen Jahren Qualitätsprobleme gegeben habe, und die Strategie hin zu teuren, schweren, großvolumigen Reiseenduros etwas an den Marktbedürfnissen vorbeigefahren sei. „750 Mitarbeiter, das sind 20 Prozent der Belegschaft, müssen nun damit rechnen, ihren Job zu verlieren.“ Trotzdem sieht Götze im Hinblick auf die geschichtsreiche Kultmarke Anlass zur Hoffnung. „Dem Unternehmen traue ich es zu, dass sie die Sanierung schaffen können, wenn Mittel vom Eigentümer kommen und er bereit ist, genau zu schauen, wo man handeln muss.“

Österreich im Insolvenzsog

KTM ist mit seinen Verbindlichkeiten eine der größten Insolvenzen des ablaufenden Jahres; die Welle dürfte noch andauern. KTM ist ein Leitbetrieb in der Region an der Grenze zu Deutschland und dürfte andere Unternehmen mitreißen. „Ich glaube, dass KTM den einen oder anderen Lieferanten mitziehen wird“, sagt Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer von Creditreform. Denn selbst wenn diese Insolvenz rasch bis Anfang 2025 über die Bühne gehen sollte, werde das Unternehmen noch zwei Jahre Zahlungsfrist haben. Da müssten die Lieferanten einen langen Atem haben, bis sie ihr Geld bekämen. Außerdem sei Wirtschaft immer auch Psychologie. Wenn also ein Leitbetrieb wie KTM im Mühlviertel insolvent werde, könne das starke Auswirkungen haben.

Österreich müsse sich noch auf einige auch große Insolvenzen einstellen, erwartet Creditreform. „Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung“, sagt Weinhofer. Das gelte nicht nur für Österreich, sondern für ganz Europa, denn die Wirtschaft allgemein und die Industrie im Besonderen stünden am Beginn einer grundlegenden Transformation.

Der Zusammenbruch der Handels- und Immobiliengruppe Signa habe den Blick auf die vielen mittelständischen Insolvenzen verstellt. Das weitverzweigte intransparente Konglomerat ist die größte Insolvenz in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte und wegen seiner internationalen Verbreitung auch eine der großen in Europa.

Dabei gab es in diesem Jahr schon rund 5000 Unternehmensinsolvenzen, fast ein Viertel mehr als 2023. Nach Erwartungen von Ökonomen steuert Österreich auf ein neues Rekordjahr an Unternehmensinsolvenzen zu. Grund sei ein toxischer Mix aus sinkenden Exporten, nachlassendem Binnenkonsum und hohen Kosten. Hohe Lohnstückkosten, hohe Material- und Energiekosten zusammen mit einer ausufernden Regulatorik machten es Unternehmen immer schwieriger, in Österreich erfolgreich zu sein.

Österreich habe sich „mit der Energie- und Lohnpolitik leider selbst ins Knie geschossen“, verweist der Insolvenzfachmann Weinhofer auf die relativ hohen Tarifabschlüsse. „Ich glaube, dass spätestens mit KTM die Österreicher aufwachen müssen. Wir sind nicht mehr auf der Insel der Seligen, wo der Staat alles richten kann.“ Nun sei eine aktive Standortpolitik gefragt, das sei auch ein Auftrag an die Koalitionsverhandler nach der Parlamentswahl im September. Durch die sich hinziehenden Verhandlungen – derzeit zwischen ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos – verliere Österreich viel Zeit.

Der bisherige Standortvorteil mit guten Fachkräften verschwinde immer mehr. „Die Digitalisierung erlaubt inzwischen, auch in Indien oder China ordentliche Qualität zu günstigeren Kosten zu produzieren.“ In Österreich komme erschwerend dazu, dass die Lohnstückkosten zuletzt weit überdurchschnittlich gestiegen sind. Die Industrie sei stark von der deutschen Autoindustrie abhängig, die in einer veritablen Krise stecke, sagt Weinhofer. „Österreich segelt mit der deutschen Wirtschaft mit – im Guten wie im Bösen.“

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here