Die Marschroute der islamistischen Aufständischen hat ihr Befehlshaber klar ausgebeben: „Leute von Homs, bereitet Euch vor“, sagte Abu Muhammad al-Dschaulani, der Anführer der Rebellenallianz „Hay’at Tahrir al-Scham“ (HTS) in einer Videobotschaft. Am Freitag standen die Kämpfer bereits vor den Toren der Stadt.
Homs, die drittgrößte Stadt Syriens, liegt noch zwischen den Aufständischen und der syrischen Hauptstadt Damaskus. Sie ist noch immer gezeichnet von den brutalen Gefechten, die dort tobten, als der Aufstand gegen Baschar al-Assad begann. Seinerzeit gelang es dem syrischen Gewaltherrscher, seine Gegner in die Knie zu zwingen. Heute gilt seine Herrschaft als so bedroht wie nie.
Aus gut in Damaskus vernetzten Kreisen heißt es, erste Persönlichkeiten aus dem mafiahaften Kartell an der Spitze des syrischen Regimes hätten schon vorsichtshalber ihre Verwandten in Sicherheit gebracht. Der Eroberungszug der islamistischen Aufständischen scheint derzeit unaufhaltbar. Dass auch Homs in ihre Hände fällt, gilt in Sicherheitskreisen als ausgemacht. In einem solchen Fall wäre Damaskus vom Küstenland abgeschnitten – dem Kernland der Alawiten, Assads Bevölkerungsgruppe.
Vorboten einer möglichen weiteren, schweren Niederlage des Regimes kursierten schon am Donnerstagabend im Netz. Videoaufnahmen zeigten lange Fahrzeugschlangen, die sich aus Homs in Sicherheit brachten. Es wäre die dritte große Stadt, die Assad aufgeben muss. Als Erstes war den Aufständischen die nordsyrische Millionenstadt Aleppo weitgehend kampflos in die Hände gefallen.
Am Donnerstagabend folgte Hama, wo die zerfallenden Streitkräfte des Regimes nach kurzer Gegenwehr abzogen. Hama steht für eines der berüchtigtsten Massaker in der Region: Im Jahr 1982 richteten die Sicherheitskräfte von Hafiz al-Assad, dem Vater und Vorgänger Baschars, dort ein Blutbad mit Tausenden von Toten an, als die Stadt unter der Führung der islamistischen Muslimbruderschaft gegen das Regime aufbegehrte. Jetzt zeigen Videoaufnahmen, wie islamistische Rebellen eine Hafiz-Statue in der Stadt zu Fall bringen.
Anführer der Rebellenallianz will ein gemäßigtes Image aufbauen
HTS-Anführer Abu Muhammad al-Dschaulani will jetzt Baschar al-Assad stürzen. „Wenn wir von Zielen sprechen, dann bleibt das Ziel der Revolution der Sturz dieses Regimes. Es ist unser Recht, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen“, sagte er dem amerikanischen Fernsehsender CNN. Iran und Russland hätten beide versucht, das Leben der Führung in Damaskus zu verlängern. Aber das habe über eines nicht hinwegtäuschen können: „Das Regime ist tot.“
Das Interview diente dem Islamistenführer, dessen HTS-Allianz in den Vereinigten Staaten seit 2018 als internationale Terrororganisation geführt wird, noch einmal dazu, sich von seinen extremistischen Wurzeln zu distanzieren. Er will das Image eines pragmatischen und offenen syrisch-nationalistischen Anführers aufbauen.
Zuletzt veröffentlichte er Erklärungen unter seinem bürgerlichen Namen Ahmed al-Sharaa, nicht unter seinem Kampfnamen Abu Muhammad al-Dschaulani. In einer Erklärung wurde die internationale Presse ermutigt und eingeladen, „freie Gebiete“ zu besuchen. Es wurde außerdem noch einmal bekräftigt, dass Angehörige anderer Religionsgruppen geschützt und Kriegsgefangene gut behandelt werden sollten. Laut mehreren unabhängigen Berichten scheinen sich zumindest die HTS-Kämpfer im Großen und Ganzen daran zu halten.
Militärisch hat der HTS-Anführer die eigenen Erwartungen übertroffen. Seine Militärführer zeigten sich teilweise selbst erstaunt über die Eroberungszüge. Als sich al-Dschaulani am Mittwoch in Aleppo dafür feiern ließ, wurde nicht nur das Kriegsziel Homs erwähnt, sondern auch die Südprovinz Deraa, wo ein großer Aufstand erwartet wird, die Ostprovinz Deir Ezzor, wo das Regime unter Druck gerät – und Damaskus.